Wie Frau B. so böse wurde

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Sigrid Tinz
89%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonSep 2014

Idee

Die dicke zeternde Oma von nebenan war auch mal ein Kind, ein nettes, zartes sogar. Und als sie genau so ein Kind trifft, wird sie wieder nett.

Bilder

Obwohl Frau B. ja so böse ist, ist sie total liebevoll dargestellt, wie alle anderen Personen in dem Buch, die netten und die fiesen Kinder und wie auch alle Details.

Text

Nett geschrieben, der wenige Text ergänzt und erklärt die Illustrationen genau richtig und lässt viel Platz zum Denken und Reden zwischen den Zeilen.

Frau B. ist die böse Nachbarin und alle fürchten sich vor ihr, die Kinder besonders, aber auch die Erwachsenen. Oft sitzt die alte dicke, große, grantige Frau auf einer Bank am Spielplatz, weil sie da die Kinder noch besser hassen kann. Als sie beobachtet, wie ein großer Junge ein kleines Mädchen triezt, erinnert sie sich plötzlich an früher, als sie selbst ein kleines Mädchen war. Und das ändert ihr Leben ...

Der alte Mann mit dem Rollator, dem ein Kinderwagen prinzipiell im Weg zu stehen scheint, egal, wann und wo er einen trifft; die Oma mit der verrutschten Perücke, die am Spielplatzzaun steht und vor sich hin schimpft; oder das Nachbarsehepaar mit dem Mops, bei dem auch uns Eltern das Herz in die Hose rutscht, wenn der Fußball ausgerechnet in deren Garten gelandet ist - irgendeinen oder irgendeine alte Grantlerin hat wohl jeder von uns in der Nachbarschaft.

In diesem Buch ist es Frau B. Auf Bild eins sehen wir sie, wie sie leibt und lebt: groß, schwer, alt, mit lila Dauerwelle und einem altmodischen Rock, der sich über den kugelrunden Bauch spannt, mit Regenschirm und Tragetasche, verkniffenen Augen und hängenden Mundwinkeln. Frau B. wohnt im ersten Stock und alle kennen sie, alle fürchten sie; die Kinder sowieso, aber auch die Erwachsenen wie den kleinen, schmalen Dackelbesitzer, der unter ihrem forsch-vorwurfsvollen GUTEN MORGEN gleich noch kleiner und schmaler wird.

Die Bilder sind ehrlich - Frau B. ist wirklich gaanz schön dick und seehr böse - aber nicht gemein. Sie wird dargestellt, wie sie eben ist, aber nicht bloßgestellt. Die erdig-pastelligen Farben und all die runden Köpfe, Bäuche, Frisuren, Vögelchen machen die Atmosphäre drumherum wohlwollend und freundlich; sogar die Ecken von Fenster, Türen, Treppen und Bänken wirken nicht kantig. Mal sind es doppelseitige Spielplatzszenen, mal Großaufnahmen von Frau B. am Fenster, mal eine Sequenz einzelner Szenen - abwechslungsreich anzuschauen, obwohl die Geschichte im engen Radius um Frau B. herum bleibt.

Sie geht regelmäßig zum Spielplatz, weil sie da besonders bequem Kinder hassen kann. Eines Tages sieht sie, wie ein kleines Mädchen von einem großen Jungen getriezt wird: er hopst auf ihren Sandkuchen herum, bewirft sie mit Dreck und klaut ihr das Stofftier. An dieser Stelle gibt es eine Rückblende: Frau B. war selbst mal so ein kleines Mädchen, ein nettes, zartes, scheues Mädchen, das auch noch nicht Frau B. hieß, sondern Katja, über das sich die anderen Kinder immer lustig gemacht haben, ihr das Spielzeug weggenommen und sie sogar mal beim Blinde-Kuh-Spielen vergessen haben: während alle anderen schon beim Abendbrot saßen, tapste Klein-Katja immer noch mit verbundenen Augen durch den Garten.

Kinder können kleine A...rmleuchter sein, dass weiß jeder, der Kinder hat, mit Kindern arbeitet und der selbst mal ein Kind war. Wer sich stark fühlt, teilt aus. Wer sich schwach fühlt, auch. Vielleicht nicht aus echter Boshaftigkeit, sondern vielleicht aus Unsicherheit, als Nachahmungseffekt oder aus entwicklungsbedingter Selbstbezogenheit.

Entwicklungsbedingt selbstbezogen wie sie sind, interessieren sie sich an diesem Buch auch besonders für sich selbst, besser gesagt für das Thema Kinder-ärgern-Kinder" und wie es Frau B./Katja als Kind erging; und wie es dem Kind ergeht, das Frau B. beobachtet. An diesen Stellen fragen und erzählen sie, was sie sich dazu denken und was sie selber schon alles erlebt haben.

Der Text ist zwar ab und an etwas küchenpsychologisch-pathetisch, aber durchgehend ebenso menschenfreundlich und wohlwollend wie die Bilder. Er ergänzt und erweitert sie um genau die richtigen und wichtigen Punkte, lässt aber viel Raum zwischen den Zeilen. So können sich Kinder und Erwachsene genau so mit dem Thema beschäftigen, wie es gerade für das einzelne Kind oder die Gruppe passt. Zum Beispiel wenn es heißt, dass Frau B. den ganzen Abend an das kleine Mädchen denken musste. Denkt sie an sich als das kleine Mädchen? Oder denkt sie an das kleine Mädchen von heute? Und was denkt sie?

Das genau erfahren wir nicht. Nur das Ergebnis. Dass Frau B. am nächsten Tag zum Spielplatz geht, um mit diesem Mädchen zu spielen und ein bisschen auf sie aufzupassen. Und am nächsten Tag auch. Und auch am übernächsten. Dass sie ihre Zufriedenheit wiederfindet, das Wetter auf einmal schön ist, und das Leben Spaß macht.

Ob das bei unserem Rollator-Opa, der Perücken-Omi und den grantigen Nachbarn mit dem Mops auch klappen könnte? Wahrscheinlich nicht so leicht, denn das wahre Leben ist doch oft anders als ein schönes Buch. Anderseits, versuchen kann man es ja. Man muss sie ja nicht gleich zum Kaffee einladen. Aber statt aus Unsicherheit fies und abweisend zu sein, könnte man sich Sonja Bougaevas Stil zum Vorbild nehmen und einfach nur freundlich zu ihnen sein.

Fazit

Ehrliche und doch liebevolle Geschichte über eine dicke zeternde Frau von nebenan, die auch mal ein Kind war, ein nettes, zartes sogar; und wieder nett wird, als sie genau so ein Kind trifft. Der Text ergänzt die Bilder perfekt und lässt gleichzeitig viel Raum zwischen den Zeilen, zum Nachdenken und Reden. Weswegen man dieses Buch nicht einfach mal so vorlesen sollte, sondern mit Zeit und Muße, damit es sich so richtig schön entfalten kann.

Sigrid Tinz, September 2014

Wie Frau B. so böse wurde

Sonja Bougaeva, Atlantis

Wie Frau B. so böse wurde

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