Krasshüpfer

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Sigrid Tinz
88%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonOkt 2016

Idee

Zwei Brüder streiten darum, wie und von wem ihr Kellerversteck genutzt werden darf, und zwar so krass, dass klar wird, dass es eigentlich mehr geht als um Schlagzeug oder Käfersammlung.

Bilder

Kleine Skizzen wie von Hidde gemalt: Hauspläne, Insektenhäuschen, fixe Ideen wie den Spinnerling, eine Spinne, an die er Schmetterlingsflügel geklebt hat. Illustrator: Karst-Janneke Roogar.

Text

Hidde, der fiktive Ich-Erzähler – oder Ich-Schreiber, um genau zu sein, schreibt so wie er es erlebt, sehr subjektiv und wie es ihn gerade beschäftigt. Aus dem Niederländischen: Mirjam Pressler.

Kleiner Bruder hat ein Geheimnis mit seinem großen Bruder, das den ganz großen Bruder betrifft, ein krasses Geheimnis, viel zu groß für kleine Jungen. Und der kleine und der große Bruder haben einen Streit, wer das geheime Kellerversteck für sich alleine haben kann. Der Kleine mit seiner Insektensammlung wie bisher? Oder der Große, der dort sein Schlagzeug aufbauen will? Der Streit eskaliert zum Kleinkrieg und irgendwann kommt das Geheimnis ans Licht.

Der Titel ist eine Zusammensetzung aus Krass und Grashüpfer und das fasst es wirklich treffend zusammen: der 11-jährige Hidde ist Insektenfan, -kenner und -sammler und hat ein geheimes Kellerversteck voll davon. Sein großer Bruder will diesen Keller für sein Schlagzeug und der Streit der beiden ist mehr als ein normaler Streit unter Brüdern, vor allem, als nach und nach klar wird, was dahinter steckt, und das ist schon ziemlich krass.

Hidde schreibt all das in ein Heft, eine Art Tagebuch, und richtet sich in Kinder-Manier an eine fiktive Person: "Lieber Ichweißnichtwieduheißt" , das sind in diesem Fall wir, die Leser. Er berichtet von seinem großen Bruder Jeppe, wie dieser ihn drangsaliert und bevormundet, wie er ihn zwingen will, den Keller rauszurücken und wie er selbst plant sich zu wehren, mit Schneckenschleim auf dem Treppengeländer und Wespenangriffen. Hidde berichtet von seiner Mutter, alleinerziehend, überarbeitet und auch innerlich immer wie abwesend, selbst wenn sie da ist:

"Abends kommt sie erst spät nachhause. Auch dann merkt man kaum, dass sie da ist. Sie ist plötzlich im Zimmer "He, mein Junge", flüstert sie dann. Oder sie steht schon wer weiß wie lange da und schaut mich an. Manchmal kommt sie früher nach Hause, dann essen wir zu dritt aber sogar dann - ich schaue zu ihrem Stuhl. Ich sehe, dass jemand darauf sitzt, sie lächelt, sie ist da. Und trotzdem vermisse ich sie."

Warum die Mutter so in sich versunken ist, kommt erst nach und nach ans Licht, so als würde Hidde sich erst beim Schreiben an manches erinnern. Hidde und Jeppe hatten noch einen Bruder, der vor Jahren bei einem epileptischen Anfall gestorben ist, kurz nach dem die Mutter sich vom Vater getrennt hatte und mit den Kindern umgezogen war, in das Haus, in dem sie jetzt wohnen und zu dem ein Schuppen mit eben dem Keller gehört, von dem die Mutter nichts weiß. So haben es damals die Brüder abgemacht, als sie ihn gefunden haben.

Das ist der eine Erzählstrang, der andere sind die Insekten. Man muss sie mögen, oder sagen wir besser, man sollte keinen Ekel haben, wenn man das Wort Käfer, Spinne, Made, Raupe, Fühler, Panzer, Flügel hört, dann geht das Buch gar nicht, aber sonst ist es ein faszinierender Einblick in das Reich dieser Tiere und auch, was sie einem Menschen bedeuten können. Tausendfüßler, Grashüpfer, Würmer, Schnecken, Grillen, Ohrwürmer und Heuschrecken und seltene Insekten wie den Rosenkäfer hat Hidde in seinem Keller, er kennt jedes einzelne, er hegt und pflegt und beobachtet und züchtet; einmal füttert er Kohlweißling Raupen mit Rotkohl, damit er rosa Schmetterlinge hat, um sie einem Mädchen zu schenken. Er experimentiert, dokumentiert und studiert ihre Lebensgewohnheiten, er richtet ihnen ihre Terrarien und Gefäße und Gläser so artgerecht wohnlich wie möglich her: "Mit Zweigen, Erde, Sand und Muscheln. Ich habe Lämpchen anmontiert, ich habe kleine Leitern anmontiert für die Rosenkäfer. Aus meinem alten Eisenbahntunnel hab ich einen Kletterfelsen für die Grillen gemacht. Ich habe sogar ein Blinklicht für mein Glühwürmchen gebaut, damit es sich nicht so allein fühlt. Mein Labor ist das Schönste, was ich habe." Und das will jetzt sein großer Bruder Jeppe. Wäre das Buch aus dessen Sicht geschrieben, könnte man es vielleicht sogar verstehen. Denn Hidde hatte den Keller drei Jahre, man muss schließlich auch mal abwechseln; Jeppe will Schlagzeug spielen üben, damit er in seiner Band gut ist und bleiben kann, das geht nicht in seinem Zimmer. Aber durch den Ich-Erzähler Hidde ist man auf seiner Seite und findet Jeppe unsympathisch und fies. Einmal zum Beispiel besucht er Hidde im Keller um mit ihm den Ablauf zu klären und packt eine von Hiddes Bremsen "mit zwei Fingern, betrachtete sie ruhig und zog ihr ein Beinchen aus. ´Wann wirst Du einpacken? ' Ich hörte ihre Flügel zittern."

Das sich Geschwister oft nichts schenken ist so; aber der Kleinkrieg zwischen Hidde und Jeppe ist wirklich ein Kleinkrieg, brutal, gehässig, perfide und auch sehr ideenreich. Die Mutter kann nicht eingreifen, weil sie nicht belastbar ist aus Sicht der Kinder, weil sie nichts von dem Keller weiß und auch nicht wissen soll, weil eben in diesem Keller das große Geheimnis steckt. Jeppe ist schuld, Hidde ist schuld, die Mutter darf es nicht erfahren. So tragisch. Aber irgendwie auch erleichternd, dass es einen Grund gibt für die Boshaftigkeiten der beiden Brüder, speziell für Jeppe, er trägt sein Päckchen, weil er meint, niemanden zu haben, der es ihm abnimmt. Und ist vielleicht nicht ohne Grund so fies wie er ist. Am Ende kommt die Geschichte ans Licht, für den Leser ganz, für die Familie zumindest zum Teil. Ein interessantes, spannendes, eindrückliches Buch ohne Happy-End. Krass trifft es wirklich ganz gut.

Fazit:

Der Streit zweier Brüder eskaliert, weil es eigentlich gar nicht darum geht, wer im Keller Insekten halten oder Schlagzeug spielen darf, sondern um ein tragisches Familiengeheimnis. Krass trifft es wirklich ganz gut und auch der hohe Anteil an Szenen mit Ohrkneifern, Spinnen, Raupen ist ungewöhnlich. Muss man mögen, beides, aber dann ist es ein sehr eindrückliches Buch! Besonders geeignet für kleine Brüder.

Sigrid Tinz, Oktober 2016

Krasshüpfer

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