Eine Insel

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  • Erschienen: November 2009
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Eine Insel
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonNov 2009

Idee

Die Geschichte ist einfach fesselnd, nicht zuletzt durch die starken Charaktere und ihre persönlichen Hintergründe. Allen voran Mau, der vom zornigen Zweifler zum Vermittler zwischen Glaube und Wissenschaft wird. Voller Humor und Klugheit .

Text

Eine wunderbar dichte und atmosphärische Sprache, die mitreissend und doch feinfühlig ist. Aus dem Englischen von Peder Brehnkmann.

Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Kinderbuch des Monats [11.2009]. Eine riesige Welle verändert alles. Sie zerstört die Heimat eines Jungen und lässt ein Mädchen stranden. Auf der nunmehr einsamen Insel sind beide auf sich allein gestellt und überwinden, aller Unterschiede zum Trotz, gemeinsam ihr Schicksal. Ein Schicksal, das sie zum ersten Mal in ihrem Leben in eigenen Händen halten.

Eine Seuche hat das Britische Empire fest im Griff, sie findet ihre Opfer selbst unter den Mächtigen des Reiches - bis hin zum König selbst. Diener der Krone wollen nun fieberhaft den letzten verbliebenen Nachfahren finden, der sich jenseits des Pelagischen Ozeans befindet. Er soll umgehend zum König gekrönt werden. Die politischen Umstände machen dies notwendig. Ebenfalls auf hoher See ist ein Mädchen, Ermintrude, auf dem Weg zu ihrem Vater; zu ebendiesem letzten Nachfahren, der schon bald die Krone Englands tragen soll.

Mau, der Junge von der Insel des Sonnenaufgangs und Mitbürger der "Nation" kommt nach bestandener Prüfung von der "Insel der Jungen" zurück. Daheim soll er als Mann gefeiert werden und alle Zeichen dafür erhalten. Jedes Mitglied der Nation wird ihm zu Ehren am Strand sein, um ihn zu begrüßen. Doch dann rollt eine unbeschreibliche Welle auf ihn zu, eine Welle, die so groß ist, dass sie sein Fassungsvermögen übersteigt.

Und genau diese Welle trägt die "Sweet Judy" - auf der sich das Mädchen Ermintrude befindet - bis in den Urwald der Insel und setzt es dort ab. Als Mau auf seiner Heimatinsel ankommt, ist von der einst so großen "Nation" nichts mehr zu sehen. Er findet Leichen, die die Welle zurück gelassen hat. Die Nation glaubt daran, dass die Verstorbenen als Delfine wiedergeboren werden. Aus diesem Grund muss Mau sie, nach einem uralten Ritual, dem Meer übergeben. Der Mau, der er vor der Katastrophe war, zieht sich tief im Innern zurück und überlässt seinem Körper die Arbeit. Erst nachdem Mau seine traurige Aufgabe erledigt hat, wird er auf das "Geistermädchen" aufmerksam. Sie nähern sich einander vorsichtig an. Der Sprachbarriere und der kulturellen Unterschiede zum Trotz, keimt eine Freundschaft zwischen beiden auf.

Ermintrude, die sich ihm als Daphne vorstellt, ist in dieser fremden Welt vollkommen rat- und hilflos. Alles, was sie im fernen England von ihrer Großmutter gelernt hat, taugt bei Hofe, bei Tee und Gebäck, aber nicht hier in der Wildnis. Doch sie lernt schnell, was sie zum Überleben braucht.

Beide, sowohl Daphne als auch Mau sind auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, beide sind traumatisiert und zum ersten Mal in ihrem Leben gefordert, Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen. Daphne kann Gott nicht verzeihen, dass er ihr die Mutter im Kindsbett genommen hat - und ihren kleinen Bruder noch dazu. Die Insel hilft ihr, diese schmerzhafte Wunde zu schließen; mit einer Art synergetischen Reise in die Vergangenheit kann sie ihre Gefühle in der Gegenwart ändern und sich mit dem Schicksal versöhnen.

Auch Mau hardert mit den Göttern, die dieses Unglück zugelassen haben. Er zweifelt an ihrer Existenz, sucht Antworten außerhalb der Mystik - etwas, das für die wissenschaftlich interessierte Daphne ganz natürlich ist - und liegt mit dem ebenfalls gestrandeten alten Priester Ataba in ständigem Streit. Der Priester behauptet, Mau habe keine Seele, sei ein Dämonenjunge. Doch trotz Maus Abkehr von den Göttern, die er zuvor nie wagte zu hinterfragen, toben die Großväter seines Volkes in seinem Kopf. Sie fordern von ihm , die "Gottesanker" wieder aufzustellen und ihnen das Opferbier zu brauen. Sie verlangen von ihm Dinge, die Mau, da er noch kein Mann werden konnte, noch nicht gelernt hat. Mau fühlt sich wie ein Einsiedlerkrebs ohne Schneckenhaus, allen Gefahren schutzlos ausgeliefert. Doch er entscheidet sich, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Der Satz "geschieht nicht!" wird zu seinem Mantra; Mau weiß, dass er zu groß für ein Schneckenhaus geworden ist .

Im Verlauf der Geschichte retten beide Kinder einander das Leben. Beide Male entkommen sie dem Todesgott "Locaha" nur knapp.

Noch viele Menschen kommen auf die Insel, einige davon baut Terry Pratchett als ganz wunderbare Nebencharaktere auf, die alle ihre eigene Geschichte inmitten dieser Katastrophe haben. Doch gerade als die noch so junge Gemeinschaft eine unglaubliche Entdeckung macht, kommen die einstigen Meuterer der "Sweet Judy" an Land. Daphne ist zu allem entschlossen, um die Insel, ihren Schatz und die Menschen auf ihr zu beschützen. Selbst vor einem Mord schreckt sie nicht zurück.

Nachdem das Schiff des zukünftigen Königs vor der Lagune vor Anker gegangen ist, um seine Tochter zu retten, sind die Tage Daphnes auf der Insel gezählt; Mau weiß, dass ihr Vater sie nun dringend braucht; so, wie die Insel ihn. Doch wird Daphne jemals zur Insel zurückkehren?

Obwohl Terry Pratchett hier ein Paralleluniversum geschaffen hat - der Ort und die Insel sind seiner Fantasie entsprungen - scheint seine Erzählung so wahr und unmittelbar, dass einen das Buch schon nach ein paar wenigen Seiten nicht mehr loslässt. Nichts, was Pratchett schreibt, ist belanglos. Nichts, so scheint es, ist Zufall, alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht. Dabei macht seine Erzählweise aber keinesfalls den Eindruck, als wäre irgendetwas konstruiert; im Gegenteil, sie zeichnet sich durch die Intuition eines überaus begabten Geschichtenerzählers aus.

Terry Pratchett bewegt sich virtuos zwischen dem Märchenhaften und der vermeintlichen Realität. Fast meint man, den Zauber der Insel zu spüren, der sich aus ihrer jahrtausendalten Geschichte zu speisen scheint. Dazu gehören eine eigene, faszinierene und manchmal auch komische Tierwelt (allen voran die eigenwilligen "Großvatervögel" oder die "Baumkrake") wie auch die Kultur und die Umgebung der Menschen.

Es ist beeindruckend, auf welche Weise Terry Pratchett sein Erzähltempo mal beschleunigt und ein anderes Mal drosselt, seinen Blickwinkel verändert oder Hintergründe wie von selbst einfliessen lässt, um seine Leser tief in seine Inselwelt zu holen. Dabei versprüht er immer wieder und ganz unerwartet seinen trockenen Humor. Da wäre zum Beispiel der Papagei, der über ein fragwürdiges Vokabular verfügt und alle, besonders aber die verfressenen "Großvatervögel", nervt. Oder auch die Tatsache, dass einhundertachtunddreißig von Daphnes Verwandten das Zeitliche segnen müssen, damit sie Prinzessin wird. Es wird dabei nur ein geringer Zweifel gelassen, dass die Großmutter Daphnes imstande wäre entsprechend tätig zu werden, um ihren Sohn in den Besitz der Königskrone zu bringen. "Eine Insel" ist so reich an Geschichten und fesselnden Momenten, dass es noch zahlreiche Begebenheiten zu erwähnen gäbe.

Neben seinem Talent, das Leben auch von der komischen Seite zu betrachten, zeigt Terry Pratchett hier auch seine nachdenkliche. Die Frage nach Ursprung und Sinn des Lebens zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Mehr noch, sein tiefer Blick gilt einer Frage, die so vielschichtig wie alt ist: Gibt es eine höhere Macht? DEN Gott, DIE Götter? Und wenn ja, wie kann ein allmächtiges Wesen es zulassen, dass diese furchtbaren Dinge geschehen? Dieser theologische Ansatz - zum Großen Teil ganz aus Sicht einer fiktiven Religion heraus gestellt - wird durch die tiefgehenden Veränderungen in den beiden Kindern greifbar. Sie stellen in Frage, was sie in ihrer Kindheit erlernt und nie hinterfragt haben. Sie suchen einen Sinn und eine Zukunft und finden beides schließlich in sich selbst. Der Schönheit und Erhabenheit der Natur, den noch unerforschten Geheimnissen des Planeten und des Universums, stehen sie staunend gegenüber. Nach der Vertreibung aus dem Paradies ihrer Kindheit finden sie sich in einer Welt wieder, die nicht immer vorhersehbar aber dennoch erklärbar ist.

Terry Pratchett verwebt seine Geschichte in verschiedene Zeit- und Ereignishorizonte. Der Einstieg des Buches ist die Entstehung der Welt, eine Geschichte, die die "Nation" von Generation zu Generation weitergegeben hat. Dann springt seine Erzählung zu dem Punkt, da die "Krone" Großbritanniens an Bord eines Schiffes geht; wir erfahren von der Seuche und dem Widerwillen des Kapitäns wieder auszulaufen. Schließlich landen wir mitten im pelagischen Ozean und begleiten einen Jungen, der nach bestandener Prüfung alle Insignien der Männlichkeit erhalten soll: Mau. Von diesem Zeitpunkt an, nimmt die Geschichte rasant an Fahrt auf und bleibt über weite Strecken in der geheimnisvollen Inselwelt. Dabei entführt uns Pratchett immer wieder in die Visionen, Erinnerungen und Traumwelten von Mau und Daphne.

Als die Meuterer auf die Insel kommen, scheint das Paradies dem westlichen "Raubrittertum" schutzlos ausgelfiert. Immer wieder blendet Terry Pratchett die Situation der Eindringlinge bzw. die der Reisenden ein. Bei den Perpektivwechseln aber auch bei Terry Pratchetts zahlreichen lakonischen Andeutungen und Hinweisen ist es ratsam, stets aufmerksam zu bleiben. Aus diesem Grund sollten Kinder mindestens 10 bzw. 11 Jahre alt sein und über eine entsprechende Lesseerfahrung verfügen. Aber auch für alle, die älter sind als 11, ist dieses Buch ein Erlebnis!

Trotzdem der Tod häufig thematisiert wird, kommt die Geschichte mit erstaunlich wenig Gewalt aus - wenn, dann ist sie indirekt oder wird dort ausgeblendet, wo es "unangenehm" werden könnte. Etwas anderes hätte zu dieser atmosphärischen und feinfühligen Geschichte auch nicht gepasst. Spannend ist sie trotzdem und das auch in einem Sinne, der einen immer mit dem Unerwarteten rechnen lässt.

Am Ende beschreibt Terry Pratchett das "Heute" in seinem Paralleluniversum. Viele Generationen später stellen Kinder die Fragen, die wohl auch seine Leser an ihn haben werden. Ein alter Mann erzählt dem Jungen und dem Mädchen - etwa im gleichen Alter wie es Mau und Daphne seinerzeit waren - was aus der Insel und aus den beiden tapferen Helden geworden ist. Damit schließt er seine Geschichte harmonisch ab und wendet sich gleichzeitig seinen jüngeren Lesern zu.

Fazit:

Ein faszinierendes Buch. Klug, berührend, fesselnd und mit so leichter Hand erzählt, dass es ein wahres Vergnügen ist.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Eine Insel

Terry Pratchett, cbj

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