Mich gibt’s auch noch!

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Kinderbuch Couch
78%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonNov 2009

Idee

ein tragischer Unglücksfall überschattet die Beziehung von Mutter und Tochter, die wieder zueinander finden

Text

konsequent einfach geschrieben aus der Sicht eines 11-jährigen Mädchens

Ein schwerer Verkehrsunfall verändert von einem Tag zum anderen das Leben von Aubrey und ihrer Mutter. Aubreys Vater und ihre jüngere Schwester sind tot. In ihrem Schmerz verlässt die Mutter eines Tages früh das Haus und kehrt nicht mehr zurück. Allein gelassen versucht Aubrey die Tage zu meistern. Die Großmutter nimmt ihre Enkelin zu sich. Aber für Aubrey gibt es nur eine Frage: Warum hat meine Mutter mich in dieser schwierigen Situation vergessen, denn mich gibt's auch noch!

Die elfjährige Aubrey Priestley befindet sich allein in ihrem Haus in Virginia. Perfekt. Sie kann fernsehen so lang sie will, essen was sie will und jetzt in den Sommerferien schlafen so lang sie will. Niemand ist da, der ihr etwas verbieten könnte. Aber Aubrey ist nicht froh, ganz im Gegenteil. Sie ist einsam und traurig. In einer Zoohandlung kauft sie sich von ihrem wenigen Geld einen Fisch, Sammy. Alles ist anders geworden, denn Aubreys Mutter ist fort. Niemand soll es wissen. Dann gehen langsam die Lebensmittel aus. Aubreys Oma, Gram, steht plötzlich vor der Tür. Das Mädchen sagt ihr nicht die Wahrheit, denn sie hat Angst, dass die Großmutter sauer auf ihre Tochter Lissy sein könnte. Nach und nach versteht der Leser, dass Aubreys Vater und ihre siebenjährige Schwester Savannah tot sind. Das Mädchen lebt in den Erinnerungen an die intakte Familie und sie fragt sich, warum die Mutter sie allein gelassen hat. Aber Aubrey ist auch ärgerlich darüber, dass sie für ihre Mutter offensichtlich nicht wichtig ist. Mit Gram reist Aubrey nach Vermont und lebt nun in ihrem Haus. Die Großmutter beginnt nach der Tochter zu suchen. Aubrey schreibt indes Briefe an Jilly, die Fantasiefreundin von Savannah. Der Alltag, den Gram mit Aufgaben für Aubrey füllt, wird immer wieder durch Erinnerungsfetzen an vertraute Familienszenen unterbrochen. Aubrey freundet sich langsam mit der Nachbarstochter Bridget an und fühlt den Schmerz, wenn sie Bridgets Familie erlebt. Gram meldet die Enkelin in der Schule an. Aubrey weigert sich in die Schule zu gehen, denn sie hofft auf die Rückkehr ihrer Mutter. Schnell wird dem Mädchen klar, dass alle wissen, was ihr geschehen ist. Bridget zeigt viel Geduld, aber letztendlich streiten sich die Mädchen doch, denn Bridget hält die Stimmungschwankungen Aubreys nicht mehr aus. Doch Aubrey will nichts erzählen, sie flieht ins Unwohlsein und sie schreibt an Jilly. Bereits die alten Freunde von Aubrey haben sich nach dem Unfall seltsam verhalten und sie letztendlich gemieden. Eines Tages dann kann Aubrey niemanden mehr ertragen, nicht Gram, nicht die heile Familie nebenan, sie erleidet einen völligen Zusammenbruch, als würde ihr jetzt erst klar werden, dass Savannah und ihr Dad tot sind. Nach diesem Tiefpunkt schafft es das Mädchen wieder nach vorn zu schauen. Sie redet lang mit der Großmutter, geht in die Schule und kann auch nach einigen Vorbehalten, die Gespräche und Aufgaben der Schulpsychologin als Hilfe annehmen.

Dann endlich ein Lebenszeichen von Aubreys Mutter. Sie ist bei einer Freundin in Colorado nach langer Irrfahrt angekommen. Bei ihr hat sie so getan als sei alles in Ordnung, aber die Freundin hatte ihre Zweifel und meldete sich bei Lissys Mutter. Ein Onkel bringt die Mutter wieder nach Virginia. Aubrey plant abzuhauen, um ihre Mutter zu sehen. Doch Bridget informiert ihre Mutter und Gram. Ein erstes Telefonat zwischen Mutter und Tochter läuft ziemlich schief. Aubrey hat mittlerweile den Verdacht, dass die Mutter fortgegangen ist, weil sie Savannah mehr geliebt hat als sie. Aubrey erwartet von der Mutter Klarheit, bekommt diese aber nicht. Die Mutter begibt sich in psychologische Betreuung. In einem langen Prozess schafft es Aubrey auf Anraten der Schulpsychologin an die Menschen zu schreiben, die sie vermisst. Das Mädchen schreibt nach mehreren Anläufen an den Vater und an Savannah. Ihrer Mutter kann sie nichts mitteilen, zu tief ist die Enttäuschung. Weihnachten steht vor der Tür und Aubrey, die sich innerlich von ihrer Mutter scheinbar entfernt hat, sehnt nichts so sehr herbei wie den Besuch der Mutter. Doch diese fährt zur Familie ihres verstorbenen Mannes. Aubrey hofft, jeden Tag auf die Mutter. Gram bemerkt Aubreys Enttäuschung und gibt ihr den Hörer in die Hand, aber das Mädchen will mit der Mutter nicht telefonieren. Sie ist der Meinung, nicht sie ist die Erwachsene, die Mutter muss auf sie zukommen.
Doch dann ganz unverhofft, erscheint sie. Gram ist ungehalten, denn sie ahnt, dass diese Begegnung Aubrey aus der Bahn werfen wird. Doch endlich können sich beide aussprechen und gemeinsam wieder Zeit verbringen.
Aubrey steht nun vor der Entscheidung, ob sie bei der Großmutter und ihrer Freundin Bridget bleiben wird oder wieder nach Virginia zur Mutter zurückgeht.

In ihrem Debütroman "Mich gibt's auch noch!" wagt sich die amerikanische Autorin Suzanne LaFleur an ein schwieriges Thema und wird ihm nicht gerecht. Ein elfjähriges Mädchen verliert von einem Tag auf den anderen einen Teil ihrer Familie. Die Mutter, mit der sie den Schmerz teilen könnte, geht ebenfalls fort. Auf sich allein gestellt, versucht Aubrey mit ihrem Kummer fertig zu werden. Sie kauft sich einen Fisch, sie schreibt, sie ruft sich Erinnerungen ins Gedächtnis, bleibt einsam. Erst die pragmatische Großmutter hilft dem Kind wieder auf die Beine und die selbstlose Freundin von nebenan. Einmal darf diese auch aus ihrer betroffenen, alles verstehenden Rolle ausbrechen und einen Streit provozieren. Zu gestellt wirken die Dialoge. Jedes ernste Gespräch wird ausdrücklich angekündigt und mit Bedeutung aufgeblasen. Der Leser erfährt, dass Aubreys Mutter psychotische Schuldgefühle entwickelt und aus diesem Grund die Tochter allein lässt. Das ist vielleicht für einen erwachsenen Leser nachvollziehbar, für junge Leser weniger. Klarer ist schon die Wut der Tochter auf die Mutter, aber auch hier zeigt die Autorin nicht immer das hin- und hergerissene Kind, sondern in einigen Szenen das verständnisvolle und sich zu erwachsen verhaltende Mädchen. Die Mutter kann keine Festtage ertragen, fährt aber zu Weihnachten zur Familie ihres verunglückten Mannes. Aubrey weiß dies und hofft trotzdem, dass die Mutter zu ihr kommt. Aubrey ist schlechte Nachrichten gewohnt und doch überspannt die Autorin den Bogen.

Suzanne LaFleur erzählt aus Aubreys Sicht und konzentriert sich auf ihr diffuses Innenleben, ihre Wahrnehmungen und Hoffnungen. Es ist ein Balanceakt, den die Autorin wagt und nicht überzeugt. Wie beschreibt man einen so schweren Verlust, die Veränderung des Alltags von Grund auf? Die emotionalen Tiefen Aubreys lotet Suzanne LaFleur nur wenig aus, auch wenn sie nah an ihre Figur herangeht. Die Angst erneut verletzt zu werden, kennt Aubrey und sie lähmt sie. Aber die düstere Geschichte bleibt an der Oberfläche, so wie die Briefe, die Aubreys Gefühle widerspiegeln sollen. Die wechselnden Phasen einer Heilung werden nicht offensichtlich, denn Aubrey belastet zu viel und sie fühlt sich auch noch selbst in Frage gestellt. Auch die Mutter hadert mit sich und denkt, ihre Tochter hätte lieber den Vater an ihrer Stelle. Der tragische Hintergrund und die darauf aufbauenden Konflikte mögen den Leser berühren, aber Empfindungen oder gar Verständnis lösen sie nicht aus, aber das müsste gute Literatur. Die Figuren, ob nun Aubrey, Gram oder die Mutter von Aubrey werden nicht lebendig, sie sind nur eindimensionale Protagonisten, die dem Leser fremd bleiben. Die Geschehnisse um Aubrey gleiten ab und zu ins Rührselige und plätschern kraftlos und Klischee beladen zum guten Ende hin. In welche Hilflosigkeit ein tragischer Unglücksfall Menschen stürzen kann, davon hätte dieses Buch erzählen können.

Fazit:

Das Lesen dieser Geschichte tut nicht weh und das ist ein Indiz dafür, dass etwas nicht stimmen kann. Alles in diesem Roman ist zu weichgespült, geht nie in die Tiefe, bewegt nicht und ist nicht glaubhaft. Wie eindringlich über den Tod geschrieben werden kann, haben Joyce Carol Oates, Sally Nicholls u.a. bereits vorgemacht.

Karin Hahn

 

Mich gibt’s auch noch!

Suzanne LaFleur, Dressler

Mich gibt’s auch noch!

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