Stadt aus Sand

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonFeb 2010

Idee

Die Protagnostin ist ein wunderbar eigenständiger Charakter, der an „Momo“ erinnert. Die Reichhaltigkeit an Details, die fantasievolle Ausstattung der Charaktere und Schauplätze, sind Leckerbissen für das Kopfkino

Text

Im wahrsten Sinne des Wortes märchenhafte Sprache, voller Atmosphäre, einfühlsam und lebendig erzählt. Aus dem Italienischen von Katharina Schmidt und Barbara Neeb.

Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. In der afrikanischen Weite unterhalb eines Felsmassivs im Süden Malis, liegt das kleine Dorf, in dem Rokia mit ihrer Familie lebt. Ihr Großvater ist ein großer Geschichtensänger - ein Griot - und Rokia möchte auch einmal so sein wie er. Was das kluge und wissbegierige Mädchen jedoch nicht ahnt: Auf ihrem Großvater und dessen Zwillingsbruder, der Priester des Dorfes ist, liegt eine schwere Last. Nun alt geworden, wissen die Brüder, dass die Kinder der Bedrohung des Fürsten der Stadt aus Sand stand halten müssen. Sie müssen verhindern, dass sich der Fürst das letzte Stück furchtbarer Erde holt und ihre Seelen dazu.

Die beiden Zwillingsbrüder Matuké und Setuké müssen mit ansehen, wie der Fürst der Stadt aus Sand ihren Vater - einen großen Griot - tötet, indem er ihm die Seele raubt. Der sterbende Vater gibt seinen Söhnen den Auftrag, das Dorf vor dem Fürsten zu beschützen. Die Brüder sind die einzigen, die den wahren Namen des Fürsten kennen.

Viele Jahre später ist Matuké ein alter Mann und Großvater einer kleinen Enkelschaar. Rokia ist das einzige Mädchen und ihm liegt sehr an der kleinen, neugierigen Enkeltochter. Sie hat als einzige das Talent, eine große Griot zu werden. Eines Tages wird in der nahegelegenen Stadt zum Wettstreit der Griots eingeladen. Matuké, der nicht ohne Vorahnungen ist, möchte an diesem Wettstreit teilnehmen. Als Begleitung wählt er Rokia. Nach drei Tagen in der Stadt angekommen, darf Matuké endlich bei Sonnenuntergang auftreten. Doch etwas furchtbares geschieht: Der Himmel verdunkelt sich plötzlich und schwarze Rauch-Schlangen stürzen sich auf Matuké. Schwarze, riesige Geier kreisen am Himmel. Panik bricht aus. Dann verschwindet die Finsternis ebenso schnell , wie die Geier. Rokia findet ihren Großvater in einer ganz eigenartigen Verfassung vor. Keine Ansprache, keine Berührung vermag ihn aus seiner Erstarrung holen. Von einer Frau, ebenfalls eine Griot, erfährt Rokia, dass es der Fürst der Stadt aus Sand gewesen sei; nur er habe die Macht, Seelen zu rauben - und die der Geschichtensänger seien besonders wertvoll für den Fürsten. Tapfer und beinahe mit allerletzter Kraft schafft Rokia es, den scheinbar leblosen Körper ihres Großvaters in das heimatliche Dorf zu bringen.

Die Menschen im Dorf geben dem Mädchen die Schuld am Zustand ihres Großvaters - der Griot ist für die Dorfgemeinschaft neben dem Priester, dem Hogon, der wichtigste Mann. Rokia fasst einen Entschluss: Sie wird in die Stadt aus Sand gehen und den Fürsten bitten, ihr die Seele des Großvaters zurück zu geben. Allein macht sich das Mädchen auf, die Wüste bis zum Nil zu durchqueren. Beinahe wäre ihr Vorhaben gescheitert, wenn nicht ein kleiner Fennek, ein Wüstenfuchs, auf sie aufmerksam geworden wäre. Der Fennek, mit Namen Raogo, gehört einem fliegenden Händler, einem Tablier. Dieser Händler, mit Namen Ayad, ist ein Schlitzohr, aber er verspricht Rokia, sie bis in die Stadt aus Sand zu begleiten. Was Rokia nicht ahnt ist, dass Ayad vorhat, sie einem Sklavenhändler zu verkaufen. Doch das fällt ihm mit jedem Tag schwerer, denn das Mädchen "hat was" und Ayad findet nicht nur ihre Kochkünste wunderbar, sondern auch ihre Gesangsstimme.

Rokia kann fliehen und irrt in den Gassen der Stadt aus Sand umher. Dabei wird sie Zeugin, wie ein Seelenverkäufer seine Ware feilbietet. Rokia versteckt sich auf dem merkwürdigen Militärfahrzeug des Mannes, das von einem Nashorn gezogen wird. Es gelingt ihr, ungesehen in den Palast des Fürsten zu gelangen. Mutig tritt sie dem finsteren Herrscher gegenüber.

Zur gleichen Zeit, in Rokias Dorf, nähern sich die Truppen des Fürsten. Setuké, der Priester, muss nun schnell handeln. Er schickt einen von Rokias Brüdern los, um Hilfe zu holen. Ihm erzählt er auch die wahre Geschichte von dem großen Griot und dem dem einstigen roten Kind, das alle Träume auslöschen will.

Die fantastische Geschichte um ein kleines Mädchen, das auszieht, um einem finsteren Fürsten das Handwerk zu legen, ist ein eindrucksvolles Gemeinschaftswerk. Im Vordergrund steht der klassische Konflikt zwischen Gut und Böse. Der Fürst, der sich vor nichts mehr fürchtet als vor den Träumen und Gefühlen der Menschen, wird letztlich durch den Mut und die Liebe eines kleinen Mädchens besiegt. Soweit wohl eine recht klassische Basis für eine Fantasy-Geschichte. Doch "Stadt aus Sand" hat darüber hinaus viel mehr zu bieten. Das Autorentrio Pierdomenico Baccalario, auch bekannt als Ulysses Moore, Enzo d´Alò und Gaston Kaboré macht die Welt Afrikas fast greifbar. Geheimnisvoll und zugleich geerdet beschreiben sie die Natur Afrikas und damit die ganz besonderen Stimmungen und Lichtverhältnisse. Auch Alltägliches, wie etwa die Streitereien zwischen Rokia und ihren Brüdern, findet statt und vermittelt so auf leichte Weise Lebendigkeit und Authentizität.

Dass dieser Einblick in das Leben und die Tradition der Dogon, eines westafikansichen Volkes, das auch heute noch in kleinen Dörfern an der "Falaise von Bandigiar" lebt, so lebensnah wirkt, ist wohl Gaston Kaboré zu verdanken, einem der größten Filmemacher des afrikanischen Kinos.

Während ich die Geschichte las, fühlte ich mich sehr an den wunderbaren Erzählstil Michael Endes erinnert.
Die Reichhaltigkeit an Details, die fantasievolle Ausstattung der Charaktere und Schauplätze, wie auch der "rote Faden", mit dem die Kernbotschaft und damit eine eigene Philosophie transportiert wird, zeigen sich auch in diesem Gemeinschaftswerk. Diese Ähnlichkeit ist vielleicht kein Zufall. Enzo d´Alò, Drehbuchautor und Musiker, war bereits mit der Trickverfilmung von Michael Endes "Momo" sehr erfolgreich. Einer der erfolgreichsten italienischen Autoren, ein erfolgreicher Drehbuchautor und einer der größten Filmemacher Afrikas: Da ist es wohl nicht überraschend, dass bereits die Verfilmung von "Stadt aus Sand" in Vorbereitung ist.

Das Buch bietet in seinen reichen, stimmungsvollen Darstellungen - sei es die der Schauplätze, Menschen, alten Geschichten und Rückblenden - köstliche Leckerbissen für das Kopfkino. Der Sonnenuntergang über der "Falaise" oder die drückende Hitze in den Gassen der Stadt aus Sand - mit seinem Unrat und seinen umherwuselnden Menschen - scheint unmittelbar greifbar. Vieles scheint bereits filmisch gedacht und umgesetzt.

Sind die "Blenden" zu Anfang selten, der Ryhtmus der Szenenwechsel eher ruhig, nimmt das Tempo zum Ende hin immer mehr zu. Gerade zu Anfang bleibt der Erzählton ruhig und bedächtig. Teilweise humorvoll und voller Situationskomik, teilweise tiefgründig, finden sich sehr viele kluge Verknüpfungen, die wie Zufall wirken, aber der Dramaturgie natürlich den letzten Schliff geben. Viele afrikanische Traditionen und Glaubensvorstellungen fliessen dabei wie von selbst mit ein. Sehr philosphisch wirken die Gespräche zwischen Rokia und den beiden alten Männern Matuké und Setuké, die sich, obwohl sie Zwillingsbrüder sind, sehr unterschiedlich entwickelt haben. Hier finden wir Antworten, warum der Gesang der Griot so wichtig für die Menschen ist. Dass Gefühle das "Öl des Blutes" sind. Und es ist, als wolle das Autorentrio unter Beweis stellen, dass auch sie die Magie der Geschichtenerzähler beherrschen.

Das Buch ist 10-Jährigen durchaus zu empfehlen; mit der Einschränkung, dass sie schon über eine gewisse Leseerfahrung verfügen sollten. Der über lange Zeit eher ruhige Erzählfluss der Geschichte sowie die nicht unerhebliche Seitenzahl von immerhin mehr als 460 Seiten sind schon eine Herausforderung. Auch die Wortwahl ist vereinzelt ungebräuchlich. Bezeichnungen wie "Kalebassen", "Pagoden" oder etwa "dialektale Einfärbungen" werden kaum - auch nicht indirekt - im Text erklärt. Dennoch haben sie prinzipiell keine Auswirkungen auf das Gesamtverständnis. Die afrikanischen Worte, die im Text kursiv gedruckt sind, werden im hinteren Teil des Buches ausführlich erklärt; hier sollte man sich auf jeden Fall die Mühe machen, sie nachzuschlagen. Zu Anfang mag das etwas mühselig sein, aber mit der Zeit wird deren Bedeutung mehr und mehr geläufig. Die Verwendung der afrikanischen Ausdrücke ermöglicht einen noch unmittelbareren Zugang zu der atmosphärischen Geschichte.

Fazit:

"Stadt aus Sand" ist ein wahres Fest für die Sinne: Mit Leichtigkeit balanciert die Geschichte zwischen afrikanischer Tradition, alten Mythen und geheimnisvoller Magie. Ihr Reichtum an Eindrücken, die allein über die märchenhafte Erzählweise erzeugt wird, entführt uns immer tiefer in das Abenteuer der tapferen und klugen Rokia. Wie die "Griots" beherrschen auch Baccalario, d´Alò und Kaboré die Magie des Geschichtenerzählens.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

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