Olli wird großer Bruder

  • Boje
  • Erschienen: Juni 2010
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Stefanie Eckmann-Schmechta
84%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonJun 2010

Idee

Hintergründig passiert sehr viel in dem Buch – für werdende große Brüder oder Schwestern eine etwas andere Lektüre, die einen speziellen Blickwinkel und eine ebensolche Familiensituation aufzeigt.

Bilder

Lebendig und leicht führt Ute Krause illustratorisch durch die Geschichte und liefert einzelne Stationen zur Reise vom kleinen Einzelkind zum großen Bruder.

Text

Wieder ist es Hilke Rosenbooms Sprache und ihrer originellen Art, so leicht aus Kindersicht zu erzählen, zu verdanken, dass sich dieses Buch so schön lesen lässt.

Großartiges Einfühlungsvermögen

Olli wird bald ein großer Bruder sein - und nicht mehr der "Einzige" und "Kleine". Aber warum muss er zum "dritten Opa" aufs Land, während seine Eltern zu Hause auf das Baby warten? Ist das so, weil auch der dritte Opa, genau wie er, übrig ist?

Mama hat Olli sieben Unterhosen eingepackt. Sieben Unterhosen, das heißt sieben Tage. Das findet Olli ganz schön lange. Er hat ja nichts dagegen, sich mal kurz beim dritten Opa umzusehen - aber sieben Unterhosen lang? Mit etwas gemischten Gefühlen fährt er mit seinem Papa zu dem Opa aufs Land. Gesehen hat Olli diesen Opa noch nie in seinem Leben. Als er den alten Mann sieht, ist aber gleich das Eis gebrochen. Denn der dritte Opa entgegnet Olli auf dessen Begrüßung "Hallo, mein dritter Opa": "Hallo mein einziger Olli". Wenigstens hier ist Olli immer noch der "Einzige".

Opa stellt Olli seinen noch sehr spärlich bewachsenen Garten vor - es ist ja noch Winter. Olli lernt den Busch Ewald kennen und der kann sogar sprechen. Ewald erzählt ihm, dass er sehnsüchtig auf den ersten Frühlingsvogel wartet, der ihn im Frühjahr mit dem besten Dünger versorgt. Olli darf auch mit Opa Löcher für die Blumenzwiebeln buddeln und bringt damit ausversehen die Regenwürmer um den Winterschlaf. Aber nicht nur das: Zufällig entdeckt er eine alte Lupe in der Erde und erfährt vom dritten Opa, der der leibliche Vater von Ollis Mutter ist, dass die kleine Olivia damals auch bei ihm war, als ihr kleines Geschwisterchen unterwegs war. Der Opa erzählt, dass die kleine Olivia damals Angst hatte, dass ihr neues Geschwisterchen ihr alles wegnimmt. Deshalb hat sie sehr viele Dinge vergraben. Und da wird nicht nur klar, dass Ollis gemischte Gefühle, was sein neues Geschwisterchen angeht, nichts ungewöhnliches sind, sondern auch, warum Olli drei Opas hat. Denn als die kleine Olivia bei ihm war, erwartete ihre Mutter von dem "neuen" Mann, mit dem sie nun lebte, Nachwuchs: Ollis Tante und Mamas Halbschwester Gabi.

Hier schließt sich also der Kreis und Olli begreift, warum seine Eltern ihn zum dritten Opa geschickt haben. Als es eines Tages regnet, ernennt Opa diesen Tag kurzerhand zum "Aufträum-Tag": Olli meint nicht recht verstanden zu haben. Doch es ist tatsächlich so, denn aufzuräumen hat der Opa nichts, da er immer alles gleich wegräumt. Olli erfährt etwas über die kleine Olivia, die seine Mutter einmal war und kann gut verstehen, wie ihr damals, beim dritten Opa zumute gewesen sein musste. Er sieht Fotos von dem süßen Baby und freut sich zum ersten Mal auf das eigene Geschwisterchen.

Dann wird es wirklich Frühling, denn als es bereits sehr spät und schon dunkel ist, geht Opa mit Olli noch einmal hinaus in den Garten, um das erste Weidenkätzchen zu begrüßen. Und tatsächlich - am nächsten Tage streckt dann auch die erste kleine, Primel ihren gelbleuchtenden Kopf heraus. An diesem Tag, den alle so herbeigesehnt haben, sieht Olli endlich seine kleine Schwester und ist überrascht, dass damit seine sieben Tage beim dritten Opa schon vorüber sind.

Wie alles Leben in der Natur zurückkehrt, nach einer so langen, kalten und dunklen Zeit, fasziniert auch und vor allem Kinder. Dieses Gleichnis nutzt Hilke Rosenboom, um das Werden eines neuen kleinen Erdenbürgers zu vermitteln. Olli erlebt im Garten des dritten Opas die noch schlafende Natur und auch die Ungeduld, bis sich erste Anzeichen des Frühlings zeigen. Olli lernt, dass alles seine Zeit braucht.

Hilke Rosenboom schweift dabei ein wenig in die Fantasiewelt ab, indem sie Büsche und Regenwürmer sprechen lässt. Das wirkt hier keinesfalls aufgesetzt, sondern passt zu der etwas verwunschenen Atmosphäre, in der Olli sich so unvermittelt wiederfindet. Manchmal aber wirkt es etwas weit hergeholt, wenn plötzlich von einer Vogelkonferenz berichtet wird, die beschlossen hat, dass die ersten Vögel, die den Dünger bringen, nicht etwa "Kötel-Kötel", sondern "Singsing" genannt werden sollen. Auch die Namen der Regenwürmer wie Rainer Wahnsinn oder Rainer Luxus wirken nicht wirklich originell. Wahrscheinlich ist dies der Tatsache geschuldet, dass dieser Text nicht zu Lebzeiten der Autorin erschien - also vermutlich nicht zu den favorisierten Texten der Autorin gehörte. Nichtsdestotrotz hat die Geschichte einen besonderen Zauber. Denn sie erzählt zum einen vollkommen unaufgeregt über das Wunder des Lebens und zum anderen über eine sehr individuelle Familiengeschichte.

Diese Geschichte wird durch einen Erzähler, jedoch ganz aus der Sicht des kleinen Ollis erzählt. So werden nur die für Olli wichtigen Punkte des Aufenthalts vermittelt. Die Tage gehen auch für den Leser unmerklich vorüber. Ob Olli nachts Heimweh hat und ob er Phasen hat, in denen er doch ein wenig mit dem unbekannten Opa fremdelt, wird nicht erwähnt. Trotz Einbeziehung der besonderen Familiensituation kann man aber geteilter Meinung darüber sein, ob ein vierjähriges Kind, das mit gravierenden Veränderungen innerhalb der Familie konfrontiert wird, zu einem unbekannten Opa fortgeschickt werden sollte. Mag die Mutter auch noch so viel Vertrauen aus Kindertagen zu ihrem leiblichen Vater haben. So bleibt bei mir durchaus das Verständnis für die Eltern - die diese Zeit möglichst unbelastet erleben möchten - aber auch das Unverständnis darüber, dass der "kleine Kerl" in eine Situation versetzt wird, in der er sich wirklich überflüssig und nicht als Teil der Familie fühlen muss. Nur gut, und das vermittelt Hilke Rosenboom wiederum sehr gut, dass sich der dritte Opa bestens mit derartigen Ausnahmesituationen auskennt. Und das kommt sicherlich nicht von ungefähr: Ollis Gefühl, dass der dritte Opa irgendwie übrig ist, bestätigt sich schließlich. Der Verlust seiner Frau und zum Teil auch seiner Tochter wird hier nicht vordergründig dargestellt. Doch bleibt dies sicherlich auch Kindern nicht verborgen und sie werden Fragen dazu haben.

Wieder ist es Hilke Rosenbooms besonderer Sprache und ihrer originellen Art, so leicht aus Kindersicht zu erzählen, zu verdanken, dass sich dieses Buch so schön lesen lässt. Viele gute Ideen und Gleichnisse, die Kinder den Verlauf der Zeit und die besonderen Stimmungen vermitteln, zeigen das großartige Einfühlungsvermögen der Autorin. Die Illustrationen von Ute Krause sind dezent aber dennoch witzig; mit ihren zarten Farben zeigen sie Ollis Blick auf die Stationen seiner Reise vom kleinen Einzelkind zum großen Bruder.

Fazit:

Sicherlich ist die Ausquartierung kleiner Prinzen oder Prinzessinnen, die sich damit konfrontiert sehen, vom Thron geschubst zu werden, nicht unbedingt empfehlenswert. Doch Hilke Rosenboom erzählt so einfühlsam aus Sicht des kleinen Olli, dass sich das Buch einfach schön liest - und vieles haften bleibt. Ihre Gleichnisse und die besondere Familiengeschichte, die Olli mit seinem dritten Opa verbindet, vermitteln Zuversicht und vor allem Vorfreude auf den neuen, kleinen Erdenbürger.

 

 

 

Olli wird großer Bruder

Hilke Rosenboom, Boje

Olli wird großer Bruder

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