Zeitsprung ins Jetzt

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonOkt 2010

Idee

Sehr verschieden und doch sehr ähnlich, so zeigen sich die vier Protagonisten. Sehr ideen- und detailreich aufgebaute Geschichte mit einem hoch spannenden Schluss, der vieles erklärt.

Text

Ali Sparkes nimmt sich Zeit für ihre Geschichte und die vielen kleinen Randereignisse. Ihre Sprache ist ruhig und gut verständlich. Aus dem Englischen von Franca Fritz und Heinrich Koop.

Als die Geschwister Rachel und Ben ein merkwürdiges Metallrad aus dem Waldboden ragen sehen, packt sie die Neugier. Doch was sie tief unter der Erde entdecken, übersteigt ihr Vorstellungsvermögen bei weitem: Wie durch eine Zeitkapsel aus der Vergangenheit ins 21. Jahrhundert katapultiert, finden sie in einem geheimnisvollen Bunker ein gleichaltriges Geschwisterpaar vor, das "erst gestern" noch in den 50er Jahren gelebt hat.

Die Ferien sind öde und verregnet, ihre Eltern auf Tournee und ihr Onkel Jerome, der Wissenschaftler, wie immer nicht ansprechbar. Dann geht auch noch der Fernseher kaputt. Als Rachel und Ben endlich nach draußen gehen können, in die hügelige und verwilderte Parklandschaft des alten Darkwood-Hauses, machen sie im Wald eine atemberaubende Entdeckung. Tief unter der Erde graben sie eine Luke aus, die in einen Bunker führt. Es scheint, als sei hier die Zeit stehen geblieben - trotz der Technik, die sich den beiden offenbart, deutet alles darauf hin, dass hier einmal die 50er Jahre überaus lebendig waren.

In einem Labor finden sie schließlich drei große Glas-Kapseln, in denen zwei Kinder wie tot liegen. Rachel ist außer sich vor Angst und bedient aus Versehen einen der vielen Knöpfe auf dem Schaltpult. Es ist kaum zu glauben, aber die beiden Kinder erwachen aus ihrer Starre. Es dauert eine Weile, bis auch Onkel Jerome von der Sache erfährt und der kann auch aufklären, um wen es sich bei Polly und Freddy, die seit 1956 im eisigen Tiefschlaf gelegen haben, handelt. Es sind Rachels und Bens Großonkel und Großtante. Onkel Jerome, den die beiden Zeitreisenden immer noch JJ nennen, ist ihr kleiner Neffe, der ihnen erst gestern, im Jahr 1956, noch gehörig auf die Nerven gegangen ist.

Um diese Geschehnisse ranken sich aber noch viel geheimnisvollere Details: Pollys und Freddys Vater, Henry Emerson, ein genialer Wissenschaftler, verschwand ebenfalls damals ganz plötzlich. Mit ihm wurden auch seine Kinder vermisst. Schließlich, nach vergeblicher Suche, verdächtigte man Emerson des Mordes an seinen eigenen Kindern. Noch heute fehlt von Henry Emerson jede Spur. Neben den Recherchen der vier Kinder - in Begleitung des kleinen Welpen Bessie, der ebenfalls in kryonischer Suspension ein halbes Jahrhundert überstanden hat - macht sich auch Onkel Jerome auf, in den Regierungsakten Hinweise auf den Verbleib seines Großvaters zu erhalten. Doch Jerome kehrt nicht von seinen Recherchen zurück.

Währenddessen die Geschwister aus dem 21. Jahrhundert den beiden Neulingen aus dem 20. Jahrhundert beibringen, wie die Welt von heute funktioniert, versuchen sie ebenfalls ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen. Doch schon bald ist ihnen die allzu freundliche und neugierige Bibliothekarin der Gemeindebücherei nicht ganz geheuer. Schließlich haben sie sich gegenseitig fest versprochen, die unglaubliche Zeitreise von Polly und Freddy unter allen Umständen geheim zu halten. Nur der pensionierte Kriminalinspektor Percival Shaw erscheint ihnen vertrauenswürdig. Alte Filmaufnahmen deuten schließlich auf Aktivitäten des Geheimdienstes hin. Die schwarze Limousine "der Putzkolonne", wie Shaw sie nennt, kennt der alte Mann noch zu gut. Doch wer würde ihm glauben?

Die Sorge um Onkel Jeromes Verbleib wächst, das Geld geht den Kindern langsam aus und auch der Schulalltag ist für die beiden Neulinge des vergangenen Jahrhunderts nicht einfach. Schnell bringen sie die üblichen Schul-Plagegeister, in Gestalt der Kneifer-Zwillinge, dem tumben Roly O`Neal und der gewaltigen Lorraine Kingsley gegen sich auf. Schon am ersten Tag gibt es blutige Nasen. Dabei schlagen sich Freddy und Polly mehr als tapfer und die beiden Kids von heute bewundern die Coolness ihrer Verwandten - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade Freddy geht keinem Konflikt aus dem Wege und kann dank seiner außerordentlichen Flinkheit sowohl bei der Selbstverteidigung als auch beim Rollschuhlaufen seine Verfolger ordentlich an der Nase herumführen. Erste Anzeichen schwerer Nebenwirkungen der kryonischen Suspension zeigen sich zuerst bei Freddy. Nebenwirkungen, die ihr Vater bereits bei seinen Versuchstieren beobachtet hat. Rachel weiß davon, doch Freddy verbietet ihr, mit jemandem darüber zu sprechen.

Doch dann treten weit mächtigere Gegner auf den Plan; als die schwarze Limousine der "Putzkolonne" vor dem Darkwood-Haus auftaucht, scheint es fast schon zu spät. Welcher Geheimdienst will die Kinder entführen? Ist es der eigene oder der der Russen, zu denen Pollys und Freddys Vater angeblich übergelaufen sein soll? Was haben sie mit Polly und Freddy vor?

Doch Rachel und Ben lassen sich nicht so einfach ihre neue Familie wegnehmen. Sie setzen alles daran, die Entführung von Polly und Freddy zu verhindern.

Die britische Journalistin und BBC-Reporterin Ali Sparkes stellt mit ihrem Roman um die beiden Geschwisterpaare, die aus zwei verschiedenen Jahrhunderten stammen, eine faszinierende Frage in den Raum: Was würden Kinder aus den 50er Jahren sagen, wenn sie plötzlich in unserer heutigen Zeit landen würden? Wie würde das Zusammentreffen dieser beiden sehr verschiedenen Generationen aussehen? Diese Frage stellt sie ganz in den Fokus der Geschichte und erfindet darum ein dichtes Science-Fiction-Abenteuer mit Spionage-Elementen, das ganz aus der Perspektive der Kinder erzählt wird.

Ein wenig ist es, als würden zwei der "Fünf Freunde" auf heutige Kids treffen und mit ihnen ein rasantes Abenteuer erleben - das ist vor allem deshalb so reizvoll, da sie zusammen mit den beiden Geschwistern heutiger Tage tatsächlich zu fünf Freunden werden, den Hund Bessie natürlich hinzugerechnet. Damit verbindet Sparkes geschickt den Charme der 50er Jahre mit der jetzigen, leider nicht so sehr von Idealen geprägten Zeit. Besonders in ihrer Sprache, ihrer Wortwahl, unterscheiden sich die Geschwisterpaare und es tauchen manch komische Missverständnisse auf, die in der englischen Originalausgabe noch mehr Wortwitz haben dürften.

Es zeigt sich, dass die Kinder aus der damaligen Zeit viel zäher sind als die beiden Geschwister des 21. Jahrhunderts. Sehr lange Passagen des Romans beschäftigen sich mit den vielen Details um das doch so andersartige Leben der beiden Teenager-Geschwisterpaare. Es werden 50 Jahre alte Fahrräder entstaubt, die ersten Fertiggerichte und das Einheitsessen der Fast-Food-Ketten genossen und Einstellungen abgeglichen. Vieles lernen auch Rachel und Ben von ihren "älteren" Verwandten. Sie sind für Pollys Ordnungsliebe dankbar und wissen Freddys zupackende und mutige Art zu schätzen.

Auf diese Weise - da auch über längere Erzählpassagen keine wirkliche Wendung eintritt - flacht die Geschichte, die am Anfang höchst spannend angefangen hat, zunächst einmal ab. Dadurch, dass Ali Sparkes viele alltäglichen Dinge beleuchtet, findet man sich schnell in einer harmonischen Kinder-WG wieder, die natürlich mit ein paar Problemen zu kämpfen hat. Ich gebe zu, dass ich über den langen Mittelteil des Buches Zweifel hatte, ob die Geschichte noch auf eine Weise abgeschlossen werden kann, die den Leser für sich einnimmt. Das allerdings ist Ali Sparkes am Schluss bestens gelungen - so viel sei hier verraten. Denn im letzten Drittel des Buches nimmt die Geschichte deutlich an Fahrt auf. Es beginnt mit der witzigen und temporeichen Schilderung von Freddys und Bens Flucht vor ihren brutalen Schulkameraden; einmal Tempo aufgenommen, bleibt die Geschichte rasant und nimmt den Leser mit vielen spannenden Details zum Höhepunkt der Geschichte, der einem wahren Science-Fiction-Abenteuer für Kinder alle Ehre macht.

Eine Herausforderung für alle Leser ab 10 sind sicherlich die kompletten Szenenwechsel, die Momentaufnahmen aus den Nachforschungen des britischen Geheimdienstes schildern, oder für einen kurzen Moment zu den Archiven des Kremls oder gar in das zerstörte Tschernobyl hinüber wechseln. Ali Sparkes erklärt hier, im Gegensatz zu dem sonstigen Verlauf der Geschichte, nichts Näheres und so tappt der Leser, was diese Handlungsstränge angeht, ziemlich lange im Dunkeln. Somit hat es schon etwas von einem Spionage-Thriller und verlangt ein wenig Denkarbeit. Zum Glück löst sich dieses Verwirrspiel am Ende der Geschichte vollständig auf. Da Ali Sparkes konsequent aus der Perspektive der Kinder erzählt, werden die "nicht selbst erlebten Szenen" des Buches am Ende für die vier Kinder - somit auch für die Leser - erklärt.

Ali Sparkes Sprache ist ruhig und beschreibend. Sie nimmt sich sehr viel Zeit für Details und schildert unsere "moderne Welt" aus dem Blickwinkel der Kinder aus den 50ern. Dabei versucht sie, die Gefühle der vier Kinder - auf der jeweils gefühlten Zeitachse - einzufangen und deren innere Verwirrung altersgerecht einzufangen. Gleichwohl die Autorin manch gute Metapher einsetzt, bleiben die Charaktere aber eher an der Oberfläche. Doch angesichts dessen, dass es sich bei diesem humorvollen und am Ende doch sehr spannenden Buch um ein Abenteuer-Roman handelt, scheint mir dieser Punkt auch nicht von entscheidender Bedeutung, was den Lesespaß angeht. Dadurch, dass sowohl Jungen als auch Mädchen hier die Hauptakteure sind, und somit beide Seiten beleuchtet werden, dürfte die einfallsreiche Geschichte sowohl Jungen als auch Mädchen gefallen. Am Ende wird klar, dass die Kinder von 1956 und die Kinder aus dem Jahr 2009 so verschieden doch nicht sind.

"Zeitsprung ins Jetzt" wurde 2010 mit dem "Blue Peter Book of the Year Award" ausgezeichnet. Der "Blue Peter Book Award" gehört zu einer Reihe von Literatur-Preisen für Kinder-Literatur, die jährlich von der BBC mit dem Namen "Blue Peter" verliehen wird; ins Leben gerufen wurde der Preis im Jahr 2000.

Fazit:

Ein einfallsreiches und unterhaltsames Science-Fiction-Abenteuer, das die faszinierende Frage beleuchtet, was Kinder aus den 50er Jahren von dem Leben der heutigen Kids halten würden. Ali Sparkes "Zeitsprung ins Jetzt" ist aber ebenso eine schöne, leichte Freundschaftsgeschichte, die ein wenig den Charme der berühmten "Famous Five" versprüht.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Zeitsprung ins Jetzt

Ali Sparkes, Fischer Schatzinsel

Zeitsprung ins Jetzt

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