Paul das Hauskind

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonApr 2011

Idee

Härtling nimmt die Position von Paul ein und hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor. Gerade durch seine liebenswerten Darsteller ist sein Roman so lesenswert und trotz der Ernsthaftigkeit unbeschwert.

Text

Sprachlich wunderbar auf den Punkt aber nicht allzu leicht: Bei manchen Schilderungen/Dialogen muss man schon genauer hinschauen; da wäre etwas mehr Leseerfahrung sicherlich von Vorteil.

[ab 11 Jahren]

Die Eltern des zwölfjährigen Paul sind ständig unterwegs und zu beschäftigt, um sich um Paul zu kümmern. Paul hat Glück im Unglück: Alle Bewohner der Hausgemeinschaft kümmern sich um ihn und sind für ihn da - auch wenn sie ihm keine echte Familie ersetzen können.

Schon beim Sommerfest im Garten der Hausgemeinschaft erkennt Paul die Vorzeichen: Sein Vater spricht mit "Oma Käthe". Die rüstige alte Dame hat schon mehrere Male Paul zu sich genommen, wenn seine Eltern geschäftlich unterwegs waren. Pauls Mutter arbeitet in New York und denkt gar nicht daran, ihrem Sohn zu Liebe ihr Leben dort aufzugeben.

Pauls Vater arbeitet in der "Werbebranche" und ist ebenso unzuverlässig - wenn auch etwas häufiger zu Hause. Zunächst sind es nur ein paar Tage, die Paul bei Oma Käthe bleiben soll, dann aber spitzt sich die Situation zu: Der Vater vertröstet Paul ein ums andere Mal, Oma Käthe wird krank und Paul muss in einen anderen Haushalt umziehen. Eines morgens wird Paul von der Feuerwehr geweckt. Es brennt im Haus - niemandem passiert etwas. Nur, dass Beate nun beim alten Schwarzhaupt - seinem engsten Vertrauten im ganzen Haus - unterkommt, passt Paul überhaupt nicht. Er ist eifersüchtig und merkt, dass er selbst gar keinen festen Platz mehr hat. Als Helenas Familie, wo er bis dahin untergekommen ist, in den Urlaub fährt, muss Paul weiterziehen - zu Herrn Üdal und Bibi. Jetzt erst fällt Paul auf, dass er gar nicht weiß, was er in den Ferien anfangen soll. Seine Eltern haben sich offensichtlich keine Gedanken darüber gemacht, wo Paul in den Ferien bleibt - jetzt - da Oma Käthe im Krankenhaus ist. Nicht einmal, als Paul schwer stürzt und sich das Schlüsselbein bricht, kommt der Vater nach Hause.

Während sich die Hausgemeinschaft weiterhin rührend um ihn kümmert - wobei er auch so manches Mal deren Ungeduld und Gedankenlosigkeit zu spüren bekommt, vermisst er seinen besten Freund Felix, der allerdings mit der Familie in den Urlaub gefahren ist.

Ein Brief, den Paul mitsamt seinem Zeugnis ausgehändigt bekommen hat, aber natürlich für seine Eltern bestimmt ist, wird von dem alten Schwarzhaupt - dem pensionierten Rechtsanwalt und erste Anlaufstelle für alle Sorgen und Nöte der Hausgemeinschaft - geöffnet. Pauls schulische Leistungen stehen auf der Kippe. Und so wird kurzerhand ein Ferien-Förderprogramm für Paul auf die Beine gestellt: Englisch-Nachhilfe bei dem pensionierten Studienrat Kimmich und Mathe bei der Architektin Drübernaus.

Immer wieder kehrt Paul in die verlassene Wohnung zurück, schaut nach, ob seine Mutter ihm eine Mail geschickt hat und ist doch immer wieder enttäuscht - weil sie nicht schreibt, dass sie wiederkommt und ihm nicht sagen kann, wie es mit ihm weitergehen soll.

Dann bekommt Paul hohes Fieber und liegt mehrere Tage krank im Bett. Zum Glück ist Oma Käthe wieder aus dem Krankenhaus zurück. Mittlerweile ist klar, dass Pauls Vater auf absehbare Zeit nicht nach Hause kommen wird. Er leidet unter einer schweren Depression und ist in einer Klinik untergebracht. Pauls Eltern lassen sich scheiden. Für für Paul stellt sich mehr denn je die Frage, wo sein Zuhause sein wird. Scheinbar mühelos gibt Pauls Mutter ihren Sohn frei: Paul bleibt bei seinem Vater - mit ganz viel Unterstützung von Oma Käthe, Dr. Adam (dem alten Schwarzhaupt) und den vielen anderen Hausbewohnern. Dennoch: Paul wünscht sich ein echtes Zuhause. Und so bleibt bei aller Freude, die ihm die Menschen zu seinem dreizehnten Geburtstag zu machen versuchen, auch eine große Traurigkeit.

Peter Härtling beschreibt zurückhaltend aber doch sehr eindringlich die Unruhe, die sich in Paul ausbreitet. Sehr schnell solidarisieren auch wir Leser uns mit dem klugen und tapferen Paul und wir kommen nicht umhin, als ebenfalls wütend zu werden. Die erfolgsorientierten, stets mit sich selbst beschäftigten "Erziehungsberechtigten" haben offenbar ein neues Leben begonnen. Ein Leben, in dem ihr Kind keinen Platz mehr hat.

Peter Härtling überspitzt die ohnehin schon kritische Situation, indem auch Pauls Vater für seinen Sohn ausfällt. Die offen zu Tage tretende Ignoranz der Eltern tut sein übriges, dass sich eine schier unerträgliche Situation für den Jungen auftut. Doch trotz aller Dramatik, die einen durchgängigen Spannungsbogen erzeugt, ist der von Peter Härtling aufgezeigte Missstand gar nicht so abwegig. Auch wenn es zum Glück selten vorkommt, dass ein Kind sich ganz allein überlassen ist, so ist es doch auch nicht von der Hand zu weisen, dass es immer mehr Kinder gibt, die sich um die Lebens- und Berufsvorstellungen ihrer Eltern herumorganisieren lassen müssen. Versprechungen, die nicht eingehalten werden, gibt es auch da viele und Momente, in denen die Kinder ihre Eltern bitter bräuchten, aber keine Zeit oder kein Ohr für die Sorgen und Nöte finden, ebenso.

Peter Härtlings Roman bietet nicht nur Kindern fesselnden Lesestoff - denn das ist "Paul das Hauskind" ohne Frage - sondern eröffnet auch so manchem Erwachsenen eine Perspektive, die nachdenklich macht. Pauls wachsende Zerrissenheit wird mit jeder Zeile spürbarer, denn einerseits sehnt er sich so sehr nach seiner Mutter - andererseits möchte er nichts mehr von ihr erwarten, um nicht wieder enttäuscht zu werden. Mit dem Lob, er sei ja so stark und "pflegeleicht" wird Paul in eine Ecke gedrängt, die es ihm schwer macht, über seine Gefühle zu sprechen. Bei seinen Vertrauten im Haus braucht er das auch freilich nicht; sie finden selbst deftige Worte für seine Situation - und steuern dennoch etwas ungelenk um Pauls dramatische Situation herum.

Paul sagt selbst von sich: "Ich bin ein unnötiges Kind." Wieder beschreibt Peter Härtling auch in diesem, seinem ersten Kinderbuch seit zehn Jahren, sehr eindringlich die ungeschönte Wahrheit. Er nimmt, wie es seine Art ist, allein die Position des Kindes ein und hält unserer Gesellschaft ganz nüchtern den Spiegel vor. Die Geschichte von Paul bleibt noch lange im Gedächtnis. Der Leser selbst wird unmerklich Teil der Hausgemeinschaft - wir erleben Pauls Enttäuschungen mit, können aber an dem eigentlichen Missstand nicht wirklich etwas ändern. Je mehr sich die Eltern aus ihrer Pflicht davonstehlen, desto mehr gehen Dr. Adam, Oma Käthe & Co. freiwillig in die Verantwortung. Welche Konflikte sie dabei mit sich ausmachen müssen, lässt Härtling außen vor. Tatsache ist aber, dass sein Roman gerade durch seine liebenswerten und oftmals auch ziemlich skurrilen, aber klugen Darsteller so lesenswert ist und trotz seines ernsten Themas sogar zum Großteil unbeschwert daher kommt.

Da gerade zu Anfang alle Personen benannt werden - und erst nach und nach näher beschrieben werden - ist es gut, dass sich im Vorsatzpapier des Romans eine Zeichnung des Hauses befindet, in der alle Bewohner vermerkt sind. Ansonsten wäre es eine echte Herausforderung für Kinder, die vielen Personen richtig einzuordnen. Gleichzeitig aber spiegelt diese beträchtliche Anzahl an Personen auch Pauls unübersichtliche Situation sehr eindringlich wider. Sprachlich macht Peter Härtling es seinen jüngeren Lesern nicht immer leicht. Aus einigen seiner Dialoge geht nicht unbedingt auf Anhieb hervor, wer gerade was sagt oder wer gerade welche Aktion dabei ausführt. Das entwickelt sich alles im Rahmen der Handlung und verlangt schon ein etwas Leseerfahrung. Auch die Tatsache, dass Härtling nicht viele erklärende Worte macht, setzt schon eine gewisse Reife voraus.

Peter Härtling baut zum Ende hin noch einen schönen, zusätzlichen Spannungsbogen ein: Paul und die Hausbewohner können einen Fahrraddieb stellen, der im großen Stil die gestohlenen Räder der Nachbarschaft verhökert. Das ist natürlich für die anvisierte Zielgruppe der ab 11-jährigen der gelungene Höhepunkt der Geschichte. Gleichzeitig kommt Realität in Pauls Leben und sein Schicksal nimmt eine eindeutige Wendung - auf einmal entscheidet sich sehr viel für Paul. Eine Entscheidung aber trifft er ganz allein und das ist auch gut so.

Der mit zahlreichen Preisen geehrte Autor erhält von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V. in Volkach den "Großen Preis" für sein literarisches Lebenswerk. Die Auszeichnung wird ihm am 11. November 2011 in Volkach verliehen.

Fazit:

Auch mit seinem jüngsten Roman für Kinder zieht Peter Härtling seine Leser ganz in die Welt seines Protagonisten und zeigt klar und unaufgeregt das Unbegreifliche, das doch irgendwie gemeistert werden muss. Die Geschichte vom "Hauskind" Paul bleibt noch lange im Gedächtnis, denn sie vermittelt über ihre Charaktere einerseits sehr viel Herzlichkeit, andererseits kann Pauls Schicksal niemanden kalt lassen, denn es gibt in unserer Gesellschaft nicht wenige Kinder, denen es ähnlich ergeht.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Paul das Hauskind

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