Geisterritter

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonAug 2011

Idee

Junge Leser können sich bestens mit dem etwas selbstironischen Jon identifizieren, die Familienproblematik Jons und die Geisterschicksale werden geschickt verbunden.

Bilder

Verträumte Naturdarstellungen und verzaubert wirkende Schauplätze sowie bedrohliche Skelette zu Pferd. Nicht immer gelingt jedoch die Darstellung der „harmloseren“ Mitakteure.

Text

Bedrückend und unheimlich sind Cornelia Funkes Beschreibungen der bösen Geister, hell und mysteriös, die der rastlosen Seelen von William Longspee und seiner Frau Ella. Humor – und gefühlvoll die vielen Randbemerkungen Jons.

Das hatte Jon gerade noch gefehlt... nicht genug, dass der Elfjährige am Boden zerstört ist, weil ihn seine Mutter wegen ihres neuen Lebensgefährten in ein uraltes Internat abgeschoben hat, er wird auch noch von einem Familienfluch verfolgt - und zwar in Gestalt eines finsteren Reiters, der ihm nach dem Leben trachtet.

Jon, der mit seinem neuen "Stiefvater" überhaupt nicht zurecht kommt, wird in das Internat nach Salisbury geschickt, wo auch sein verstorbener Vater zur Schule gegangen ist. Jon ist fest entschlossen, bis in alle Zeiten die ganze Welt anzuklagen - vor allem seine Mutter. Seine Zimmergenossen versuchen Jon aufzumuntern, vergeblich. Und dann kommt es noch schlimmer: eines nachts entdeckt er vor seinem Fenster drei finstere, durchsichtige Gestalten - Geister. Sie drohen ihm mit dem Tode und Jon fühlt einen furchtbaren Schmerz in seiner Brust.

Zunächst versucht Jon sein Erlebnis zu verdrängen - doch dann wird er eines abends über das Internatsgelände gejagt. Von drei finsteren Reitern. Sie wollen ihn töten, da er ein Hartgill ist. Dabei ist das der Mädchenname seiner Mutter. Jon, der nur allein die finsteren Reiter sehen kann, verdreht die Version seiner kopflose Flucht so gut es geht, damit er sich vor seinen Mitschülern nicht bis in alle Ewigkeit blamiert. Am Ende glauben seine Mitschüler tatsächlich, er habe nur eine wilde Geschichte erfunden - doch Ella Littlejohn, die bildhübsche Mitschülerin, die alle Jungs anhimmeln, stellt Jon in der Kantine zur Rede. Obwohl Jon zunächst alles abstreitet, kann er schließlich doch nicht umhin, seine Angst einzugestehen.

Ellas Großmutter, Zelda Littlejohn, bei der Ella die meiste Zeit lebt, gibt Geistertouren für Touristen - und kennt sich bestens mit den Gespenstern der Region aus. Sie finden zusammen mit Zelda heraus, dass Lord Stourton, der wegen des Mordes an William Hartgill und dessen Sohn John zum Tode durch den Galgen verurteilt wurde, den Hartgills ewige Rache geschworen hat. Zelda empfiehlt Jon, so weit von Salisbury zu verschwinden, wie nur möglich. Doch Zelda versucht ihn zu beruhigen, er solle den Geist Stourtons und seine Knechte einfach ignorieren und vom Fenster fernbleiben. Leichter gesagt als getan, findet Jon. Gleichzeitig kommt es für ihn überhaupt nicht in Frage, seiner Mutter von den Vorfällen zu berichten und um seine "Versetzung" zu bitten.

Ella erinnert die Sage um einen Ritter, der in der Kathedrale begraben liegt und vor seinem Tode geschworen hat, jedweden, der ihn um Hilfe bittet, zur Seite zu stehen. Obwohl Jon nicht so recht daran glaubt, lassen sich Ella und Jon nachts in der berühmten Kathedrale von Salisbury einschließen und bitten am Grab des Ritters Willliam Longspees um dessen Hilfe. Und tatsächlich: Der Ritter erscheint Jon und schon bei nächster Gelegenheit bekämpft Longspee den finsteren Geist von Stourton erfolgreich - Jon glaubt, dass er den Lord und seine furchtbaren Knechte für immer losgeworden ist. Doch er irrt sich...

Cornelia Funkes neuer Roman ist eine humorvolle und spannende Erzählung aus dem Geister- und Gespenstergenre. Eingebettet in einer Internatsgeschichte würzt sie das Mysteriös-Gruselige mit einer echten Freundschaftsgeschichte und zahlreichen eigenwilligen und sympathischen Nebenakteuren. Die Hauptpersonen sind zweifellos Jon und seine Freundin Ella deren Freundschaft im Verlauf der Geschichte so manche Berg- und Talfahrt aushalten muss. Wie es in einer klassischen Fantasy-Geschichte der Fall ist, steht die Hauptperson, Jon, am Ende einer rasanten Entwicklung. Nicht nur, dass es ihm gelingt, seinem Geister Ritter ein treuer Knappe zu werden, er versöhnt sich auch mit der Vorstellung dass "der Vollbart" - wie Jon den neuen Lebensgefährten seiner Mutter nennt - ein Teil seiner Familie wird.

Greifbar und atmosphärisch beschreibt Cornelia Funke mit dem Umfeld der Kathedralschule und der berühmten Kathedrale von Salisbury nicht nur einen idealen, sondern auch realen Schauplatz, durch den eine Reihe von geschichtlich belegten Hintergründen in die Geschichte einfließt. Damit beinhaltet ihr neuester Roman auch den Reiz eines historischen Romans. Am Ende des Buches findet sich ein Glossar der verschiedenen historisch belegten Ereignisse, Orte und Personen, die in ihren Roman stattfinden. Viele der hier auftretenden "Geister" hat es wirklich gegeben. Allen voran William Longspee, der Cornelia Funke beim Besuch der Kathedrale zu diesem Buch inspiriert hat.

Bekannt durch den für ihn so typischen phantastischen Realismus in seinen Werken, wirken die ganzseitigen Illustrationen von Friedrich Hechelmann wie kleine Kunstwerke; sie zeigen verträumte Naturdarstellungen und verzaubert wirkende Schauplätze. Detailliert und zugleich unwirklich begleitet er die Erzählung, lässt dem Leser an manchen Stationen der Geschichte aber wenig Raum für die eigene Vorstellungskraft. Nicht immer gelingt ihm bei den "harmloseren" Mitakteuren eine sympathische Darstellung - wie zum Beispiel bei Großmutter Zelda, als sie von einem Hund quer durchs Gesicht geleckt wird. Auch die Darstellung des Geistes eines Chorschülers wirkt durch seine katzenhafte Gestalt, seine langen, knochigen Krallenhände und seine spitzen, gebleckten Zähnen zu surreal und bedrohlich.

Zu Cornelia Funkes Geisterwelt gehören nicht nur die finsteren Häscher, die sie sehr eindrucksvoll beschreibt, auch die "Unglücklichen" - wie zum Beispiel ebendieser verschlagene Chorjunge - und die "Eigenwilligen" prägen die Geschichte . Dem stellt sie die edelmütige, wenn auch an ihrem Dasein verzweifelte Geisterwelt in Gestalt von William Longspee entgegen. Durch die Perspektive des Hauptakteurs, Jon, der in seiner knappen und oftmals humorvoll-trockenen Art treffsicher zu beschreiben weiß - also mit einer ordentlichen Prise Galgenhumor - lasten selbst die bedrohlichen Szenen nicht so schwer auf dem Erzählfluss. Vielmehr bleibt dieser, nicht zuletzt durch die schöne Freundschaftsgeschichte zwischen Ella und Jon, in einer positiven Grundstimmung. Die emotionalen Bindungen, die Jon zu Ella und William Longspee entwickelt, sind geprägt durch tiefe Zuneigung und dürfen - gerade als Gegenpol zu den finsteren Begegnungen - ruhig auch etwas sentimental ausfallen.

Dennoch versteht Cornelia Funke es, den Nerv ihrer jungen Leser mit allerlei gruseligen Details zu kitzeln. Die Story, die sie im Laufe des Romans entspinnt, hätte durchaus das Zeug zu einer langen, verschachtelten Familiensaga, die noch viele Generationen zurückgeht. Reizvoll wäre der Gedanke, wenn Jon auch seinen Vorfahren hätte begegnen können. Doch hier hält Cornelia Funke ihre junge Leserschaft im Blick und versteht es, diese Dinge anzudeuten und das höchst ungewöhnliche Internatsabenteuer nicht zu verkomplizieren. Abwechslungsreich und sehr spannend ist ohne Frage der Höhepunkt - der finale Kampf zwischen Gut und Böse. Dann gleitet die Geschichte in ein unbeschwertes und hoffnungsvolles Fahrwasser - für meinen Geschmack ein wenig zu unbeschwert - doch letztlich ist dies genau der richtige Abschluss, um eine stellenweise doch sehr bedrohliche Geistergeschichte zu einen sanften Ende zu bringen.

Fazit:

Ein Internatsaufenthalt wider Willen und eine allzu lebendige Geisterschar - Cornelia Funke verbindet in ihrem neuen Roman beides mit historisch belegten Hintergründen und Schauplätzen. Entstanden ist ein spannendes, gruseliges und zugleich humorvolles Abenteuer, das Jungen und Mädchen ab 10 Jahren sicher nicht mehr so schnell wieder aus der Hand legen werden.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Geisterritter

Cornelia Funke, Dressler

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