Der Junge, der Gedanken lesen konnte

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Der Junge, der Gedanken lesen konnte
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonApr 2012

Idee

Die Charaktere sind das Herz dieses ganz besonderen Kinderkrimis. Eine sehr lebendige, lebensnahe und aber zugleich auch ziemlich „schräge“ Geschichte.

Bilder

unverkennbar und wieder einmal perfekt in Szene gesetzt von Regina Kehn. Die s/w-gelben Strichzeichnungen fangen die Geschehnisse sehr gut ein und zeigen eine klare, aber unaufdringliche Symbolik.

Text

Der Ich-Erzähler Valentin gewährt wunderbare Einblicke in seine Welt und die sind ebenso berührend wie auch komisch. Die Zusammenhänge sind sehr ausführlich und gut verständlich erklärt.

Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Kinderbuch des Monats [04.2012]. Valentin ist ganz neu in der Stadt, in dem großen Hochhaus und muss irgendwie seine Sommerferien rumkriegen. Es ist drückend heiß und wäre er nicht fast über Mesuts Füße gestolpert, wer weiß, ob Valentin den Friedhof überhaupt entdeckt hätte. Hier, unter den schattigen, hohen Bäumen, macht er so manche kuriose Bekanntschaft und wird unversehens in einen echten Kriminalfall verwickelt...

Valentin, der mit seiner Mutter allein lebt, ist bereits vor einigen Jahren aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Er liest viel - besonders gerne eine Krimireihe, in der eine Kinderbande die kniffeligsten Fälle löst - natürlich auf eigene Faust, ohne die Erwachsenen. So inspiriert, findet Valentin auch an seinem neu entdeckten Lieblingsplatz, dem Friedhof, reichlich Ansätze, um mit Ermittlungen in verschiedener Richtung anzufangen. Da wäre "Dicke Frau", die meist verwirrt ist und einen vollgestopften Einkaufswagen vor sich herschiebt. Ihr wurde ein Golddollar gestohlen, den ihr eigentlich der "Dokter" vererbt hatte. Sein Testament, das auf zwei Kassenbons notiert ist, beweist das.

Und was hat es mit dem polnischen Friedhofsgärtner, dem liebenswerten "Bronislaw", auf sich? Wer hat ihn durch einen Schlag auf den Hinterkopf bewusstlos geschlagen - und noch wichtiger: Warum? Die weiteren täglichen Besucher auf dem Friedhof sind die "Schilinskys"; das Ehepaar hat sich bereits zu Lebzeiten ein Grab gekauft und nutzt es nun als kleinen Schrebergarten - denn einen echten Schrebergarten können sie sich nicht leisten. Sie machen das Beste aus ihrer Situation und machen es sich gemütlich mit Bier, Nudelsalat und Schnitzel. Gastfreundlich wie sie sind, bieten sie auch Valentin stets etwas an und er gesellt sich nur zu gerne zu ihnen. Hier trifft Valentin auch den sanften und klugen Herrn Schmidt, der schon sehr alt ist und dessen Hund "Jiffel" ihn jeden Tag zum Grab seiner Else begleitet.

Schon am ersten Tag auf dem Friedhof geschieht etwas Seltsames mit Valentin, als er "Dicke Frau" hilft, den schweren Einkaufswagen zum Friedhofsgelände hoch zu hieven. Er kann in ihren Kopf gucken und sieht das ganze Durcheinander in ihr. Zunächst glaubt er, er hätte nur einen Schwindelanfall gehabt, doch dann geschieht es wieder bei Mesut. Valentin muss die Menschen einfach nur lange genug anstarren.

Spätestens als Valentin sich erinnert, dass Bronislaw eine Tätowierung auf dem Handgelenk trägt - ebenso wie der Gangster, der Juweliergeschäfte überfällt - braucht der Jung-Detektiv Unterstützung. Er vertraut sich Mesut an, der sich als äußerst emsiger Ermittler entpuppt. Immerhin ist Mesuts großer Bruder bei der Polizei.

Immer wieder kreisen Valentins Gedanken um seinen großen Bruder Artjom. Erst nach und nach erfahren wir, was mit Valentins Bruder geschehen ist. Valentin begreift vieles erst jetzt, da er älter ist. Doch zum Glück gibt es Herrn Schmitz, mit dem er zum ersten Mal über all das sprechen kann.

Ein Kriminalfall der ganz besonderen Art beschert uns Kirsten Boie mit "Der Junge der Gedanken lesen konnte". Untertitelt mit "Ein Friedhofskrimi" deutet sich schon an, dass es sich womöglich um eine ziemlich kuriose Geschichte handeln könnte. Und so ist es auch. Dabei ist es erstaunlich, wie mühelos Kirsten Boie die vielen Ebenen ihrer Geschichte ganz wie von selbst miteinander verwebt. Dabei punktet sie ganz klar mit ihren außergewöhnlichen Charakteren. Da sind die geselligen und großzügigen Schilinskys oder die vom Schicksal hart getroffene "Dicke Frau", die auch wirklich nur so genannt wird - nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil niemand ihren richtigen Namen kennt. Herzensgute Menschen sind es, deren Freundschaft Valentin sich sicher sein kann. Sie sind vorurteilsfrei und sehen nur den Menschen, den sie vor sich haben. Trotz oder gerade wegen ihrer Eigenheiten sind sie einfach liebenswert. Das gilt auch für Mesut - auch wenn er zunächst absichtlich etwas komisch spricht und manchmal recht engstirnige Ansichten aus seiner Kultur auf andere anwendet. Doch das macht Valentin nichts, denn er weiß, dass es sich nicht lohnt wegen so etwas zu streiten. Schließlich kann er sich fest auf seinen klugen Freund verlassen. Selbst dann, als Valentin ihm schließlich anvertrauen muss, dass er Gedanken lesen kann. Mit Valentins Erkenntnissen aus dem Kopf eines anderen tut sich eine abenteuerliche Spur auf. Doch die Verfolgung dieser höchst eigenartigen Anhaltspunkte bringt die beiden in echte Schwierigkeiten. Ganz deutlich wird am Ende zwar nicht, wer nun genau der Juwelierdieb ist, dafür versteht es Kirsten Boie aber umso besser, ihre Leser im Rahmen der Normalität auf ganz "schräge" Pfade zu führen. Dabei geht es so manches Mal sehr komisch zu, zum Beispiel bei Valentins Befragung von Zeugen, die wohl nicht älter als fünf Jahre sein dürften. Aus Valentins Perspektive erhält der Leser einen oftmals amüsanten Einblick in seine Wahrnehmung der Dinge. Dabei schildert er auch oft seine "Wenns" und "Abers", oder er erklärt genau, warum sich gewisse Zusammenhänge sich so oder auch anders verhalten könnten. Valentin nimmt es mit so ziemlich allem ziemlich genau, weshalb es auch weniger geübten Detektiven leicht fallen dürfte, mit den beiden Jung-Ermittlern mit zu kombinieren.

Sehr berührend führt Kirsten Boie ihre Leser schließlich an Valentins Geheimnis heran, das er selbst lange vor sich und der Welt verborgen hält. So gelingt es ihr nicht nur, einen spannend-kuriosen Kriminalfall zu konstruieren, das alles mit dem Hauch des Geheimnisvollen zu versehen und dabei eine tolle Freundschaftsgeschichte über alle Kulturen hinweg zu erzählen, sondern auch die Sache mit dem Tod auf eine einfühlsame und kindgerechte Weise zu vermitteln, ohne dabei etwas unbedingt vermitteln zu wollen. Sie versteht es, Kindern die Gefühle und die Sehnsüchte aber auch die innere Flucht Valentins zu spiegeln - und das, indem sie auf scheinbar ganz schlichte und einfache Weise seine Geschichte erzählt. Doch es gelingt ihr gerade mit dem vorliegenden Roman, ihren Blick für die wirklich wichtigen Dinge zu schärfen.

Perfekt dazu stimmen die zahlreichen Illustrationen von Regina Kehn in die Geschichte ein. Ihre ganzseitigen Strichzeichnungen in Schwarz-Weiß und einem warmen, sommerlichen Gelb, geben intensive Einblicke in das Leben von Valentin. Ihre Bildkompositionen wirken manchmal wie Kollagen aus dem Erzählten, manchmal wie Momentaufnahmen, etwa, wenn wir über Valentins Schulter in die Wohnung blicken, die noch mit Umzugskartons vollgestellt ist. Ein anderes Mal machen ihre Illustrationen das sichtbar, was die Geschichte noch verborgen hält. In einem Fall kommt noch eine dritte Farbe hinzu: Mit einem roten Fleck auf dem Herzen sind jene im Bild dargestellt, die einen lieben Menschen verloren haben. Regina Kehn arbeitet mit einer unaufdringlichen, aber klaren Symbolik, die die besondere Atmosphäre des Friedhofs inmitten der sommerlichen Gluthitze sehr schön einfängt.

Fazit:

Kirsten Boie entspinnt mit ihrem Kriminalroman für Kinder ab 10 - und dabei meine ich, dass das Buch besonders Jungs gefallen wird - mit viel Humor und einer guten Beobachtungsgabe eine ganz besondere Geschichte. Sie ist nicht nur originell und witzig, sondern auch ehrlich und berührend. Doch das allerbeste: Sie ist superspannend und für alle jungen Kriminalisten eine tolle, herzensbildende Lektüre!

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Der Junge, der Gedanken lesen konnte

Kirsten Boie, Oetinger

Der Junge, der Gedanken lesen konnte

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