Freund oder Feind

Freund oder Feind
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonSep 2012

Idee

Was ist, wenn der Feind sich als ein Mensch aus Fleisch und Blut entpuppt und dazu sich als Retter in der Not erweist? Die beiden Jungen David und Tucky stehen vor einer schwierigen Entscheidung.

Text

Leicht verständlich und doch eindrucksvoll versteht es Michael Morpurgo, die Erlebnisse der Kinder lebendig werden zu lassen. Dabei wird der Tenor der Geschichte nie zu schwer. Aus dem Englischen von Birgit Salzmann.

[ab 11 Jahren]

England während des zweiten Weltkriegs. Als die Bomben auf London fallen, werden David und Tucky zusammen mit ihren Klassenkameraden aufs Land verschickt. Für David steht der Feind unumstößlich fest: die Deutschen sind für den Tod seines Vaters verantwortlich und dafür, dass die Kinder ihr Zuhause verlassen müssen und nicht länger bei ihren Mütter sein dürfen. Doch dann machen sie die Erfahrung, dass auch "der Feind" nur ein Mensch ist. Und was ist ein Feind, der einen aus der größten Not rettet? Ein Freund?

Zunächst ist David sehr unglücklich, als er von seiner Mutter fortgeschickt wird - er weiß nicht, wo er untergebracht wird und auch seine Mutter kennt ihren Einsatzort auch noch nicht. Sie müssen darauf vertrauen, dass sie irgendwie wieder zueinander finden. Die gesamte Schule wird evakuiert und auf einer scheinbar endlosen Fahrt werden die Kinder am Ende in einen einsamen Landstrich abgesetzt. Jedes Kind kommt in eine Gastfamilie. Als bereits alle Kinder ausgesucht wurden, bleiben nur noch David und Tucky übrig. Während die Lehrerinnen noch fieberhaft überlegen, wo sie die Jungen unterbringen sollen, kommt der Farmer Mr Reynolds endlich. Er beweist sehr viel Aufrichtigkeit und Einfühlungsvermögen, als er die Jungs fragt, was sie wollen und sich kurzerhand dazu entschließt, beide Jungen bei sich aufzunehmen.

David und Tucky lernen viel über die Tiere und die Landwirtschaft. Sie streifen in den einsamen Mooren in der Umgebung umher und genießen ihre unbeschwerte Freiheit. Der Krieg scheint weit weg zu sein. Mr und Mrs Reynolds erweisen sich als sehr herzliche und gute Menschen, die die Jungs schnell in ihr Herz schließen.

Als die Jungen eines Abends allein die Farm hüten, beobachten sie aus dem Fenster einen Lichtblitz über dem Moor. Sie sind sich sicher, dass es ein deutsches Kampfflugzeug war, das dort abgestürzt ist. Sofort informieren David und Tucky Mr Reynolds, der am darauffolgenden Tag mit einem Suchtrupp durch die Moore streift, um das Flugzeug zu finden. Auch die Jungs begleiten die Einsatzkräfte, doch vergeblich. Schnell stehen sie im Verdacht, dass sie nur einen Tag Schulfrei heraus schlagen wollten.

Bei einem ihrer Streifzüge durch die Moore halten sie noch immer Ausschau nach dem Flugzeug. Auf ihrem Rückweg halten sie sich jedoch nicht an die Anweisungen von Mr Reynolds und überqueren den Fluss an einer gefährlichen Stelle. Prompt fällt David, der nicht schwimmen kann, in das tosende, kalte Wasser. Er verliert die Besinnung und als er wieder die Augen aufschlägt, hört er als erstes Tucky rufen, dass sie sich nicht geirrt hätten und es tatsächlich ein deutscher Bomber war, dessen Absturz sie gesehen hatten. Nach und nach erfährt David, dass einer der zwei Piloten verletzt ist und der andere David aus dem Fluss gezogen hat. Während Tucky noch ganz davon berauscht ist, dass sie doch Recht behalten haben, fallen David all die Taten der deutschen Soldaten ein.

Doch schnell wird klar: Die beiden Piloten brauchen die Hilfe der beiden Jungen. Sie brauchen warme Decken und vor allem Nahrung. Nur widerstrebend lässt sich David darauf ein - schließlich bedeutet es, Mr und Mrs Reynolds zu bestehlen. Und in der Tat bleibt nicht unentdeckt, dass einige Dinge auf der Farm fehlen. Während Tucky vollkommen sicher ist, das richtige zu tun - schließlich hat der eine Pilot seinem besten Freund das Leben gerettet - weiß David nicht, ob er diesen Männern verzeihen kann. Trotzdem sie so verletzlich und auf ihre Hilfe angewiesen sind, fühlt sich David wie ein Verräter. Aber wäre er ein besserer Mensch, wenn er den Feind, der ihm das Leben gerettet hat, den dortigen Streitkräften ausliefern würde?

Der britische Autor Michael Morpurgo wurde 1943 gegen Ende des zweiten Weltkriegs in London geboren: Auch wenn er noch zu klein war, um sich an die Situation der Kinder wie David und Tucky zu erinnern, die zu ihrer Sicherheit von ihren Eltern getrennt wurden, um bei fremden Familien auf dem Land in Sicherheit zu sein, so gelingt es ihm doch vieles von der Stimmung und dem damaligen Zeitgeist in seine Geschichte zu transportieren. Auch die Tatsache, dass er selbst mit seiner Familie in der englischen Grafschaft Devon - berühmt für die Dartmoor- und Exmoor-Nationalparks - lebt, schlägt sich in seinen bildhaften Beschreibungen der weiten, grünen Hügellandschaft nieder.

Der erfolgreiche Autor von über 90 Büchern war lange Zeit als Lehrer tätig, bevor er sich schließlich ganz dem Schreiben widmete. Sein Projekt "Bauernhöfe für Stadtkinder", das er zusammen mit seiner Frau ins Leben rief, zeigt Stadtkindern, wie das Leben auf dem Land ist. Aus ihren neuen Erfahrungen mit der weiten Natur hat Michael Morpurgo zweifellos einiges in seinen vorliegenden Roman für Kinder ab 11 Jahren einfließen lassen.

Ein hohes Identifikationspotential liegt in der Geschichte Davids. Auf unbestimmte Zeit fortgeschickt zu werden, ohne zu wissen, ob man seine Familie je wiedersehen wird, dürfte für alle Kinder eine schlimme Vorstellung sein, die sie jedoch nachvollziehen können. Auf diese Weise werden sie Davids Geschichte gebannt folgen, zumal Michael Morpurgo zwar nicht in Ich-Form, dafür aber ganz aus Davids Perspektive erzählt. Sie können sich ganz auf die Seite Davids schlagen, der versucht, die Situation ebenso tapfer zu meistern wie sein Freund Tucky. Ihre Beobachtungen und Beschreibungen der Menschen um sie herum, die Schilderung, welche seelischen und körperlichen Beschwernisse diese Fahrt ins Ungewisse begleitet haben, sind sehr greifbar und glaubhaft dargestellt. Dabei gibt es trotz allem so manchen komischen wie auch schönen Moment - dies zu sehen, ist ja gerade die Kunst von Kindern - so dass die Erzählung zu keinem Zeitpunkt zu bedrückend wirkt. So lebensbejahend der Tenor ist, so sehr hat Michael Morpurgo auch die Ernsthaftigkeit der Situation verdeutlicht, in der sich die Jungen bei ihren heimlichen Versorgungsmissionen begeben. Ohne es genauer benennen zu müssen, wird deutlich, dass die Jungen sich wirklich auf dünnem Eis bewegen. Gerade dieser moralischer Zwiespalt und die Heimlichkeiten, die die beiden Protagonisten natürlich vor ihren Gasteltern verbergen müssen, macht die Erzählung durchweg spannend.

Diesen Gewissenskonflikt beschreibt Morpurgo sehr glaubhaft und auf eine Weise, die Kinder ab 11 Jahren bestens nachvollziehen können. Dadurch, dass sich die Geschichte nur aus der Perspektive der Kinder entwickelt, können sich die Leser ganz in die Situation hineinversetzen und werden dazu angeregt, sich selbst zu überlegen wie sie handeln würden. Michael Morpurgo sagt mit seiner Geschichte nicht, was richtig oder falsch wäre, aber er wirft scheinbar ganz zufällig wichtige moralische Fragen auf, die kaum spannender gestellt werden könnten.

Sehr gelungen ist dabei auch die Auflösung dieses riskanten Geheimnisses und damit auch das Ende von Davids und Tuckys Geschichte. Hier erleben die jungen Leser/innen einen Erwachsenen, der Größe zeigt und zwei Kinder die Herz und Mut beweisen.

Fazit:

Ein fesselndes und hervorragend erzähltes Buch - nicht nur für Jungs. Spannend und zugleich sensibel erzählt "Freund oder Feind" von einer Zeit, die uns zum Glück weit entfernt scheint. Die Frage, ob man sich für die Menschlichkeit oder für Ressentiments entscheidet, ist jedoch immer aktuell.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Freund oder Feind

Michael Morpurgo, Carlsen

Freund oder Feind

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