Die Spione von Myers Holt - Eine gefährliche Gabe

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  • Erschienen: Oktober 2013
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonOkt 2013

Idee

Chris ist einsam aber doch so stark, dass es ihn fraglos zu einem großen Sympathieträger macht. Tolle, manchmal auch skurrile Nebendarsteller. Macht zusammen: Humor, Spannung und Gefühl.

Text

Leser/innen werden richtiggehend in die Geschichte gezogen. So originelle Charaktere/Situationen, mit viel Leben und Eigensinn, dass man sie buchstäblich vor Augen hat. Aus dem Englischen v. Reiner Pfeiderer

ab 11 Jahren

Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Kinderbuch des Monats 10.2013. Chris Lane ist gerade erst zwölf Jahre alt geworden, da scheint sein Leben in eine weitere Krise abzurutschen. Seine Tage an der Schule sind gezählt, seine Mutter ist aufgrund einer schweren Depression unfähig, für ihn da zu sein und er hat noch einmal genug Geld, um Essen zu kaufen. Doch dann wird er vom MI 18, einer Sektion des britischen Geheimdienstes entdeckt und sein Leben stellt sich komplett auf den Kopf...

Chris übernimmt die ganze Verantwortung für seine kleine Familie; er muss für sich und seine Mutter einkaufen, waschen, putzen, kochen - alles Dinge, die einem Zwölfjährigen nicht allein aufgehalst werden sollten, genauso wenig wie die Sorge, wie sie ihrer beider Leben in Zukunft noch bestreiten können. Seit dem Tod seines Vaters, der als Soldat für Königreich und Vaterland gefallen ist, ist seine Mutter ein seelisches Wrack; und wer glaubt, dass diese vollkommen lebensuntüchtige Mutter ihrem Sohn täglich mit gleicher Liebe und Fürsorge dankt, der täuscht sich. Sie behandelt ihn nämlich mehr als schlecht, vergisst sogar seinen zwölften Geburtstag. Doch Chris bringt es nicht fertig, ihr böse zu sein und zögert, als ihm das Leben eine ganz und gar unerwartete Chance bietet.

Die junge, nette junge Frau, die in seine Schule kommt - dorthin, wo er eigentlich gar nicht mehr sein sollte - wird auf ihn aufmerksam; ohne sich etwas dabei zu denken, erfasst Chris die Gedanken der jungen Frau und landet so auf dem Schirm einer Organisation, die Kinder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten sucht und fördert: Myers Holt. Zusammen mit fünf anderen 12-Jährigen werden sie im Auftrag des Britischen Geheimdienstes in dem Einsatz der GABE unterwiesen. Die GABE ist eine Fähigkeit, über die nur wenige Kinder im Alter zwischen 12 und 13 Jahren verfügen. Da die Kinder in dieser besonderen Lebensphase in der Lage sind, den Inhalt eines Buches innerhalb weniger Minuten zu erfassen, wird der reguläre Unterricht der Ausbildung der GABE ganz klar untergeordnet.

Chris lernt hier sehr viel und obwohl er noch immer ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Mutter hat, die ihn jedoch nur schroff hinausgeworfen hat, genießt er sein neues Leben. Myers Holt bietet jede auch nur erdenkliche Bequemlichkeit. Zum ersten Mal seit langem bekommt er reichlich gutes Essen und er trägt neue, schicke Klamotten. Er genießt jeden nur erdenklichen Komfort im unterirdischen High-Tech-Campus für übersinnlich Begabte. Aber mehr noch: Hier findet er Freunde, seine Meinung wird innerhalb der Gruppe geschätzt und Chris fühlt sich zum ersten Mal in seinem Leben geborgen - ja, sogar glücklich.

Doch schneller als geplant wird es ernst für die sechs Ausnahme-Agenten: Bereits während der Direktor der Schule seine neuen Schüler rekrutiert, geschehen äußerst besorgniserregende Dinge. Ehemalige Schüler von Myers Holt werden auf mentaler Ebene auf so massive Weise angegriffen, dass sie nur noch ein menschliches Wrack sind. Wer dahinter steckt, weiß niemand; daher müssen die neuen Schüler so schnell es geht einsatzbereit sein, ehe es auf dem berühmten "Antarktis-Ball", auf dem sich hochrangige Persönlichkeiten befinden - weitere ehemalige Schüler von Myers Holt - , zum Desaster kommt. Chris muss alles geben, indem er ganz tief in die Gedanken eines anderen Jungen vordringt, der den Premierminister angreift. Doch selbst der umsichtigste Agent macht mal einen Fehler - und dieser ist so folgenschwer, dass ihm sein Widersacher erbarmungslose Rache schwört...

Monica M. Vaughan, die als Tochter südafrikanischer Eltern zunächst in Spanien lebte und dann nach Groß Britannien zog, ist Lehrerin und arbeitet seit einigen Jahren mit verhaltensauffälligen Kindern. Die in London lebende Autorin hat mit "Die Spione von Myers Holt" ein überzeugendes Debüt geschrieben und es ist so gut, dass man sich auf die weiteren beiden Bände der Trilogie bereits freut. Dass das so ist, liegt daran, dass sie die richtigen Zutaten, das richtige Timing und ein faszinierendes Thema gewählt hat.

Das interessante und zugleich reizvolle Setting besteht aus Zutaten, die zwar klassisch sind, aber in ihrer Kombination einfach eine tolle Mischung für Leser/innen ab 11 Jahren darstellen - vor allem für jene, die bereits die Harry Potter Bände verschlungen haben. Da hätten wir zum einen den "Underdog", einer dem das Leben wahrlich keine Rosen zu Füßen gelegt hat, der sich aber dennoch allein durchschlägt. Dann die große Wende: ein geradezu magischer Ort unter einem vollkommen unscheinbaren Schulgebäude, mit Menschen, die ihn schätzen und freundlich zu ihm sind. Plötzlich gehört Chris zu den ganz Privilegierten; er lernt sogar den Premierminister persönlich kennen und auf einmal stehen ihm alle Wege offen - wäre da nicht sein deprimierendes Elternhaus.

Natürlich ist Chris einer der begabtesten Schüler, was ihm nicht immer nur Lob einbringt. Der klassischen Erfolgsgaranten nicht genug, gibt es eine sehr fiese Lehrerin, die Chris das Leben schwer macht. Doch etwaigen Anfeindungen stellen sich die jungen Schüler, die mehr und mehr zu einer verschworenen Gemeinschaft werden, entschlossen entgegen. Und dann, nicht zu vergessen, das unglaubliche Geheimnis: Die Fähigkeit der Kinder, mit Telekinese, Telepathie sowie gezielter Gedankenmanipulation ihre Gegner auszuspionieren und zuletzt auch zu überwältigen. Das macht so ziemlich alles möglich und zeigt das Potential für weitere, hochspannende Abenteuer.

Die Manipulation von anderen Menschen, die Gedankenleserei sowie die sehr wirkungsvolle Telekinese sind nicht ganz ohne, wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt. Doch bleiben wir fair: Auch in den Romanen von der Harry Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling waren derlei Dinge immer dann angebracht, wenn dem Feind Einhalt geboten werden musste - und auch hier gilt es als Mittel zur Aufklärung und Verteidigung und den Feind mit seinen eigenen Mittel zu schlagen. Und der Feind, das ist eine überaus mächtige Person, die keinerlei Skrupel kennt. Natürlich nicht.

Damit wären wir bei einem weiteren, interessanten Kniff in Monica M. Vaughans erstem Band der Spionage-Trilogie. Die Autorin zeigt ihren Lesern zunächst mittels Rückblenden und Perspektivwechsel andere Schauplätze, andere "Mitspieler", deren Handeln nichts Gutes ahnen lassen. Diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, die Verbindungen dieser beiden Handlungsstränge aufzudecken, macht einen weiteren Reiz aus, der die Leser/innen zum Weiterlesen animiert.

Kommen wir zum letzten Pluspunkt dieses ersten Bandes: Die Sprache. Gerade zu Anfang gelingt es Vaughan auf beeindruckende Weise, ihre Leser/innen in die Geschichte zu ziehen. Dabei zeichnet so originelle Charaktere, stattet sie mit viel Leben und Eigensinn aus, dass man sie buchstäblich vor Augen hat. Darüber hinaus ist mir vor allem die einfühlsame Schilderung von Chris Gefühlen und Gedanken aufgefallen; die Autorin zeigt eindrücklich das Spannungsfeld zwischen Chris´ stillen Hilferufen und der Reaktion seines Umfelds, das ihn von vornherein als Problemschüler abgestempelt - statt Hilfe erntet er nur Feindseligkeit. Vaughan schildert Chris in seiner ganzen Einsamkeit und stattet ihn gleichzeitig mit so viel Stärke aus, dass es ihn fraglos zu einem großen Sympathieträger macht.

Im Verlauf des ersten Bandes von Myers Holt weichen die überaus atmosphärischen und etwas rätselhaften Anfänge mehr und mehr den reinen Schilderungen, da sich der Spannungsbogen verstärkt und sich der Nebel langsam lichtet. Nichtsdestotrotz ist der Anfang so fesselnd, wie ich nur selten bei einem Kinderbuch erlebt habe. Diesen "Schwung" nutzt die Autorin und zeigt uns eine faszinierende Facette des britischen Spionagenetzes. Nur für ein Jahr sind die sechs Schüler von Myers Holt die Superhelden und ich bin schon sehr gespannt, welches Komplott sie als nächstes aufdecken werden.

Fazit:

Der erste Band von "Die Spione von Myers Holt" ist ein Buch, bei dem man sich wohlig zurück lehnen, und das Abenteuer in vollen Zügen genießen kann. Monica M. Vaughans Superhelden im britischen Spionagenetz ist eine frische, neue Idee, die so gut erzählt ist, dass sowohl Jungen als auch Mädchen ungeduldig auf die Fortsetzung warten werden.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Die Spione von Myers Holt - Eine gefährliche Gabe

Monica M. Vaughan, dtv

Die Spione von Myers Holt - Eine gefährliche Gabe

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