Wer gewinnt?

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonOkt 2013

Idee

Ein liebevolles Buch über das Konkurrenzdenken und wie es unser Leben dominiert. Der Zeige-Gestus dominiert – hier geht es nicht ums Mit-fühlen, sondern ums Mit-denken.

Bilder

Flächige Bilder in sanft-matter Farbgebung. Braun-, Grün- und Blautöne überwiegen. Teils etwas schemenhafte Darstellung. Wenig Mienenspiel, aber ausgefeilte Körpersprache.

Text

Eine einfache Fabel mit direkter Rede, die ohne jede umschweifige Erklärung oder Moralisierung die Problematik des ewigen Wettstreitens auf den Punkt bringt!

Wer gewinnt? Im Kindergarten, auf dem Spielplatz, zu Hause mit den Geschwistern - ständig befinden sich Kinder im Wettstreit. Und nicht selten ziehen immer wieder dieselben den Kürzeren. Wie kann man damit umgehen, wenn man verliert? Wie behält man ein gesundes Selbstbewusstsein? Wie wahrt man liebevolle Beziehungen zu anderen? Und wie kann man eine Kultur der Konkurrenz, die schon mit dem Spurt durch den Geburtskanal zu beginnen scheint, durch- oder unterbrechen? "Wer gewinnt?" erzählt eine Fabel von zwei kleinen Biber-Brüdern, die sich am Ende voller Liebe in die Arme schließen und mit einem veränderten Blick auf die Welt einschlafen können.

Ein kleiner Biber schaukelt hoch hinaus, gefolgt von dem geschwungenen Schriftzug "Wer gewinnt?" Aber Vorsicht: die Seile sind gebogen, es kündigt sich bereits der ruckartige Richtungswechsel an. Schaukeln - das bedeutet ein ewiges Auf und Ab immer bedroht durch den Sturz, der auf das Verlangen nach "noch mehr" antwortet. Auch wenn am Ende tatsächlich ein anderer kleiner Biber von der Schaukel stürzt und sich ein Bein bricht, steht im Zentrum des in sanften Tönen und eher nüchtern illustrierten Kinderbuches nicht der Fall, der auf den Übermut folgt, sondern vielmehr die negativen Folgen des Konkurrenzverhaltens unter Geschwistern.

Bobbi wird in allem von seinem kleinen Bruder Freddi geschlagen: beim Werfen, beim Essen, beim Basteln - immer ist Freddi schneller und besser. Das behält er dann natürlich nicht für sich, sondern schreit es in die Welt und lacht. Bobbi wird immer unglücklicher, lässt den Kopf hängen und beginnt an sich zu zweifeln. Die Mutter ermutigt ihn, dass er den Glauben an sich selbst nicht verlieren dürfe und dass er auch einmal gewinnen werde.

Eines Tages bringt der Vater Baumstämme mit, aus denen sich die Jungen Schaukeln basteln. Wer sitzt als erster auf der Schaukel? Freddi! Dann ist es aber Bobbi, der höher hinaus fliegt. Er freut sich auf das Gefühl seinen Sieg ausrufen und feiern zu können. Dann bemerkt er, dass Freddi von der Schaukel gefallen ist. Jetzt ist sein Bruder viel wichtiger als der Triumph. Er verarztet Freddis Bein und tröstet ihn mit einer Geschichte über zwei Brüder, die immer im Wettstreit lagen...

Am Abend bringt die Mutter ihre Kinder ins Bett. Es ist Freddi, der erzählt, dass sein Bruder beim Schaukeln gewonnen und ihm dann geholfen und "die schönste Geschichte der Welt" erzählt hat. Bobbi flüstert lediglich glücklich, aber bescheiden: "Mama, heute war dieser ganz besondere Tag" und seine Mutter antwortet: "Ja, Bobbi, ein Tag mit Freude und Kummer und mit ganz viel Liebe."

"Wer gewinnt?" ist eine Fabel, die weit über das familiäre Leben hinausweist und ein Kernproblem moderner konkurrenzbasierter Gesellschaften zum Thema macht. Als Kinder üben wir nur ein Verhalten, das unser ganzes Leben durchzieht: der ständige Vergleich und Wettbewerb, das unstillbare Verlagen danach zu gewinnen. Sieg oder Niederlage und messbarer Erfolg entscheiden über den Wert und das Selbstwertgefühl eines Menschen. Der Ellenbogen wird eingesetzt, um aus dem Misserfolg anderer Gewinn zu schlagen. Muss das so sein? Was heißt es "Erfolg" zu haben? Was macht den einzelnen Menschen wertvoll und liebenswert? Welche Art von Beziehungen wollen wir pflegen? Und: spielt der Vergleich mit anderen dabei überhaupt eine Rolle?

Die Erzählung der preisgekrönten griechischen Autorin Maria Papayanni - deren Werk bislang nicht übersetzt und in Deutschland kaum bekannt ist - bleibt durchgehend konkret. Es wird eine Geschichte erzählt, die zwar klar als Fabel erkennbar ist, aber von der Ausbuchstabierung einer Moral absieht. Sowohl in der Bildsprache als auch im Sprachstil wird sehr deutlich, dass hier etwas gezeigt werden soll. Leser und Zuhörer werden dazu eingeladen der Geschichte zu folgen ohne sich mit einer der Figuren zu identifizieren, ohne zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, ohne jedes Verhalten sofort zu vergleichen und zu werten.

Die Illustrationen von Eve Tharlet bilden eine thematisch treffende und äußerst verspielte zweite Ebene. Auf trickreiche Art und Weise werden LeserInnen darauf gestoßen, welche entscheidende Rolle der Vergleich und die unmittelbare Wertung bei der Lektüre spielen. Es dauert einen Moment, bis man feststellt, dass die Biber nur durch ihre Pullis unterschieden werden können (Bobbi trägt grün-rot, Freddi rot). Die Größenverhältnisse, auf die man sich verlassen können will, verändern sich in den flächig-angelegten Bildern: mal scheint Bobbi größer zu sein, mal Freddi. Die Gesichter sind reduziert und mit wenig Mienenspiel gezeichnet, wodurch eine Emotionalisierung verhindert und eine Identifikation mit Figuren unwahrscheinlich wird. Haltung und Gestik der Biber sind aber so ausdrucksstark, dass sich die Geschichte auch durch die Bilder allein erzählt. Die Farben sind in Blau-, Grün- und Brauntönen gehalten und betonen sanfte Mischfarben gegenüber kontrastreich-leuchtenden Grundfarben. Das Cover spielt mit Komplementärfarben: die grüne Schattierung hinter der rot-orangen Schrift fällt erst auf den x-ten Blick auf und zeigt wie die Farben um Aufmerksamkeit konkurrieren. Wie schön wäre es doch, wenn wir lernen könnten genauer hinzuschauen, nicht zwischen Vorder- und Hintergrund zu unterscheiden und beides (Rot und Grün) gleichzeitig zu sehen?

"Wer gewinnt?" ist ein Kinderbuch, das sich auf liebevolle und unaufdringliche Weise einem Kernproblem unserer Zeit stellt. Es bietet sich an für die Lektüre Zeit zu nehmen und das Gespräch mit seinen Kindern zu suchen. Da ein aktives Mit-Denken angeregt wird und die Bildsprache auf typische Reize für Kleinkinder verzichtet, empfiehlt sich der Band für Kinder ab 4 Jahren.

Fazit:

Eine Fabel über die Gewalt des Vergleichs und die Auswirkungen von Konkurrenzverhalten. Lehrreich, unaufdringlich und ein wenig traurig - aber auch wunderschön.

Anneka Esch-van Kan

 

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