Das verkaufte Glück - Der lange Weg der Schwabenkinder

Das verkaufte Glück - Der lange Weg der Schwabenkinder
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonFeb 2014

Idee

Der Protagonist Jakob ist ein Kind wie du und ich und an seiner Seite erleben die Leser das historische Geschehen Schwabengehen, lernen Kinderleben kennen, wie sie früher waren und auch heute noch sein können.

Bilder

Einige, wenige, wie Traumbilder anmutenden schwarz-weiß-Bilder: es ist immer ein Baum und er zeigt den Stand der Jahreszeit in der Geschichte an.

Text

Das Deutsch ist klar verständlich und zeitgemäß, es sind aber doch in der vielen wörtlichen Rede und den Dialogen Worte und Formulierungen eingebaut, an denen man Zeit und den süddeutschen Ort erkennt.

Irgendwann im 19. Jahrhundert: die Bergbauer-Familien in Tirol sind so arm, dass sie nicht genug zu essen haben; viele Eltern schicken ihre Kinder deshalb nach Schwaben, wo sie vom frühen Frühling bis in den späten Herbst für Kost, Logie, Kleidung und ein bisschen Lohn bei reichen Bauern arbeiten müssen. Einer von ihnen ist Jakob und von ihm handelt diese Geschichte.

Es dämmert schon, als der 10-jährige Jakob und sein jüngerer Bruder Kilian auf ihrem Schlitten noch einmal den Hang am Waldrand hinunterfahren. Sie überholen Leonhard, der sich auf den Bauch gelegt hat um schneller zu sein. Kilian johlt und klatscht vor Freude in die Hände und Jakob schreit "Festhalten", Leonhard gewinnt, die drei rangeln und pöbeln sich gegenseitig ein bisschen an und gehen dann nach Hause. Sie haben Hunger.

Wir lernen Jakob, Kilian, Leonhard anfangs kennen als das, was sie sind: Kinder, wie überall und immer, die Spaß am Rodeln haben, ein bisschen großspurig sind und nach Hause müssen, wenn es dunkel ist. Der Leser ist sofort an ihrer Seite. Und bleibt da - auch wenn schnell klar ist, dass die Jungs zwar Kinder sind, aber eben nicht wie du und ich. Sondern arme Kinder, Kinder aus einer früheren Zeit: vor dem Essen müssen die beiden den Stall ausmisten, das Schwein füttern und die Kühe melken; beten, was die Eltern auch schon beim kleinen Bruder Johannes mit Strenge durchsetzen. Und was würden unsere Kinder nach einem Tag beim Rodeln nicht alles zu essen bekommen! Für Jakob, Kilian und die drei Geschwister gibt es einen Teller dünne Suppe und eine Scheibe Brot und morgen wird es wohl noch weniger geben. Die Eltern sind bedrückt, keiner lacht, erzählt, streitet oder redet durcheinander.

Ausgehend von diesem Abendessen entfaltet der sowohl historisch als auch im Erzählen für Kinder versierte Autor die Handlung: Die Geschichte der Schwabenkinder.
Als Schwabenkinder wurden Bergbauernkinder aus Vorarlberg, Tirol, Südtirol, der Schweiz und Liechtenstein bezeichnet, die in früheren Jahrhunderten Jahr für Jahr im frühen Frühling durch die Alpen ins reiche Schwaben laufen mussten, um dort bis in den späten Herbst für Kost, Logie, Kleidung und ein bisschen Lohn bei großen Bauern zu arbeiten - man könnte auch sagen als Saison-Leibeigene. Die jüngsten waren fünf. Begonnen hat das wohl im 16. Jahrhundert, erlebte seinen Höhepunkt im 19. Jahrhundert: jährlich fünf- bis sechstausend Kinder sollen damals auf Höfen in der Fremde als Hütejungen, Mägde oder Knechte gearbeitet haben. Jeweils Mitte März gab es in den größeren Städten wie Ravensburg, Friedrichshafen, Kempten so genannte Kinder-Märkte, wo die Bauern sich ihre Kind aussuchten. Zu Sankt Martin ging es dann wieder nach Hause. Erst als 1921 im Schwabenland die Schulpflicht auch für ausländische Kinder eingeführt wurde, hörte das Schwabengehen auf - es lohnte sich nicht mehr.

Diese vergangene Zeit kommt uns in diesem Buch sehr nahe. Denn dieses Jahr werden auch Jakob und Kilian dabei sein, das haben die Eltern noch abends beschlossen - und die kennen wir ja jetzt. Begleitet vom Messner ihres Dorfes gehen sie in Eiseskälte, Schnee und in der morgendlichen Dunkelheit los, stapfen in löchrigen Schuhen über verschneite Bergpässe, frierend, hungrig und schon froh, wenn sie abends in einem Stall schlafen können und ein paar kalte Kartoffeln zu essen bekommen. Wir sind dabei, als sich Jakob auf dem Kindermarkt von seinem Bruder trennen muss, denn ihre jeweiligen Bauern wollen jeweils nur einen Jungen; wie er dann jeden Sonntag eine Stunde hin und eine Stunde zurück marschiert, um Kilian zu besuchen, weil er doch der Mama versprochen hat, auf ihn aufzupassen. Wir sind dabei, wie er sich vor Heimweh in den Schlaf weint, arbeitet und arbeitet und über das gute, üppige Essen staunt. Wie er von dem einen Knecht schikaniert und geschlagen wird, und wie er sich mit einem anderen Knecht über dies und das unterhält: warum lässt Gott das zu, wenn er doch angeblich gerecht ist und alles sieht? Warum darf mich jeder als "Sau-Tiroler" beschimpfen, auch wenn ich gar nichts angestellt habe? Warum sind manche Leute so reich, dass ihre Schweine besseres Essen bekommen als das, was viele arme Leute haben? Antworten gibt es nicht und die Gespräche sind so kurz, dass sie gut in die Handlung hineinfließen, und nicht sendungsbewusst nerven - aber natürlich senden sie etwas.

Das Buch ist kein opulenter historischer Roman, eher dokumentarisch, aber gut verständlich und leicht zu lesen geschrieben. Es eignet sich durchaus zum Selberlesen - aber das Buch vorzulesen ist noch viel schöner, besonders, wenn man Zeit hat, sich mit den Kinder zu unterhalten, von früher und von Oma und Opa erzählen, oder darüber, dass in vielen Ländern Kinder auch heute so schwer arbeiten, dass viele Kinder hungrig ins Bett gehen, weil Getreide weltweit so teuer geworden ist, dass ihre Eltern von ihrem wenigen Geld nicht mehr genug zu essen kaufen können. Ob man selber sein Kind ins Schwabenland geschickt hätte oder ob man eines genommen hätte, wenn man ein reicher schwäbischer Bauer gewesen wäre? Wie man ein Tiroler Ausländerkind behandelt hätte und wie wir heute andere, arme, fremde Menschen behandeln.

Kurz vor Weihnachten kommen Jakob und Kilian übrigens wieder zu Hause an, von Kopf bis Fuß in neuer Kleidung, mit Essen und ihrem kleinen Lohn, in der Wiege liegt ein neues Geschwisterchen. Ob sie im nächsten Jahr wieder ins Schwabenland gehen müssen, steht noch nicht fest.

Fazit:

Der lange Weg der Schwabenkinder ist ein ernstes und zugleich ein sehr schönes Buch. Am besten entfaltet es seine Kraft, wenn man es in Ruhe gemeinsam liest und sich Zeit nimmt, denn neben dem historischen Wissen regt das Buch auch zum Nachdenken und Reden an; darüber, was Gerechtigkeit, was Nächstenliebe ist und ob jeder von uns das tut, was eigentlich in seiner Macht stünde, um die Welt ein kleines bisschen heller und wärmer zu machen.

Sigrid Tinz

 

Das verkaufte Glück - Der lange Weg der Schwabenkinder

Manfred Mai, Ravensburger

Das verkaufte Glück - Der lange Weg der Schwabenkinder

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