Der Drache hinter dem Spiegel

Der Drache hinter dem Spiegel
Der Drache hinter dem Spiegel
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonJun 2015

Idee

modernes Märchen, gemixt aus altgedienten Figuren aus verschiedenen Sagenwelten und historische Begebenheiten und fünf aufgeweckten Kinderfiguren, die herausfordernde Aufgaben zu bewältigen haben.

Text

Sehr stringent und dicht erzählt, magisch und gleichzeitig authentisch – und durchaus anspruchsvoll.

England vor 100 Jahren: die Geschwister Herbert, Fee, William, Bernadette und Diana müssen zur ihrem ihnen bis dato unbekannten, weil mit den Eltern zerstrittenen Großvater. Ihr Vater ist schwer krank, die Mutter muss Geld verdienen und den Kranken pflegen. Zum Glück ist Finn OBrian ein fröhlicher und freundlicher Zeitgenosse und etwas seltsam: er wohnt in einem Schloss und er kann zaubern! Weil Geld deshalb keine Rolle spielt, verwöhnt er seine Enkelkinder nach Strich und Faden. Alles wird gut bis William in einem abgelegenen Teil des Schlosses einen Spiegel findet, in dem ein Drache eingesperrt ist....

Schon mal darüber nachgedacht, was hinter einem Spiegel sein könnte? Wie es wäre, wenn es Elfen, Drachen und all die vielen anderen Sagengestalten und geschichten in Wirklichkeit gäbe? Oder wenn man in andere Zeiten reisen könnte? Wie es wäre, wenn man ganz jemand anders wäre, der Sohn eines reichen Königs, die Tochter einer mächtigen Fee?
Dann ist dieses Buch perfekt!

Für ältere, lesegeübte Kinder zum Selberlesen, aber auch zum Vorlesen ab einem Alter von sechs, sieben Jahren können Kinder diese Geschichte wohl vertragen. Der Drache hinter dem Spiegel ist damit eins von den nicht allzu häufig vorkommenden Büchern, die man Geschwistern gleichzeitig vorlesen kann, die für verschiedene Altersstufen und bei Jungen und bei Mädchen gleichermaßen funktioniert, die auch die Erwachsenen noch faszinierend und spannend finden. Und es ist eins von den Geschichten, über die sich dann die ganze Familie beim Essen unterhält: wie es weitergeht, was man selbst machen würde, wäre man eine der Figuren und welche der Hauptpersonen man am liebsten wäre. Fee? Die älteste der fünf Geschwister, naturverbunden, stark und mutig, allerdings nicht in einem draufgängerischen Sinne, sondern so, dass sie nicht zurückschreckt vor Dingen, die getan werden müssen.

Herbert, genannt der Held? Der älteste Junge, er mag es wild und abenteuerlich und auch er ist sehr mutig, zum Teil, weil er weiß, dass seine Position als großer Bruder ihm gar keine andere Wahl lässt, als Zuversicht auszustrahlen.

Bernadette? Sie ist neugierig, interessiert an allem und jeden, liebt Bücher über alles und weil sie fast immer liest, weiß sie auch fast über alles Bescheid. Diana? Die jüngste; unschuldig, niedlich, fröhlich, verspielt.

Oder William? Der kommt genau in der Mitte der Geschwisterfolge, und er ist so etwas wie die Hauptperson. Zwar ist er kein Ich-Erzähler, aber die Geschichte wird aus seiner Sicht erzählt, auch viele seiner Gedanken und Gefühle berichtet das Buch, während wir die anderen Geschwister und die weiteren Figuren nur von außen kennenlernen und durch das, was sie sagen. William ist eher ruhig, zögerlich, nachdenklich. Er mag es ganz und gar nicht abenteuerlich, hat Angst im Dunkeln und wird müde, wenn er lange laufen muss. Ein ganz normales Kind eigentlich. Vielleicht nicht die perfekte Identifikationsfigur, denn die meisten Kinder werden sicherlich lieber einer der anderen vier wählen. Aber dieser normal unabenteuerliche Junge denkt unabenteuerliche Dinge und dadurch wird die Geschichte tiefsinniger als wenn sie nur ein rauschendes und fantastisches Abenteuer wäre. Worum geht es denn jetzt genau?

Diese fünf Kinder aus ärmlichen Verhältnissen leben in London. Ihr Vater ist schwer krank, die Mutter muss deshalb für zwei arbeiten, deswegen sollen die Kinder zum Großvater. Den sie noch nie kennengelernt haben, weil ihre Eltern mit ihm zerstritten sind. Nach Schottland. Allein, auf einem Schiff, auf dem sie sich die Überfahrt mit Arbeiten verdienen müssen. In einer Zeit ohne Handy und Telefon, weswegen der Großvater nichts weiß von der Ankunft seiner Enkelkinder und sie deshalb auch nicht abholen kommt. Deshalb marschieren sie auf eigene Faust zu seiner verfallenen Burg. Welche Erleichterung, als sie endlich da sind: Finn O'Brian ist nett und wohlhabend. Er beharrt nicht auf dem Streit mit seinem Sohn, dem Vater der Kinder, sondern verspricht, zu helfen. Allerdings ist er auch etwas seltsam, unter anderem trägt er komische Kleidung und er kann zaubern. Weil Geld deshalb keine Rolle spielt, verwöhnt er seine ausgehungerten Enkelkinder nach Strich und Faden: jedes bekommt ein eigenes fantastisch ausgestattetes Zimmer, die Mahlzeiten sind üppig und lecker und außerdem darf sich jedes der fünf noch eine ganz besondere Sache wünschen.

Das alles ist im Grunde nur so etwas wie die Vorgeschichte, denn der im Titel versprochene Drache ist ja noch gar nicht aufgetaucht. Den entdeckt William per Zufall. Aus einem großen alten Spiegel spricht plötzlich jemand zu ihm: Ich bin in Wahrheit dein Großvater William, ich werde hier gefangen gehalten und ihr alle schwebt in Gefahr. In großer Gefahr. Nicht nur ihr Kinder, auch euer kranker Vater zu Hause. Der Mann, der sich als euer Großvater ausgibt ist ein Betrüger. Aber als William genau schaut, sieht er einen riesigen Drachen hinter dem Spiegel. Das ist nicht meine wahre Erscheinung, erklärt der Drache sogleich. Es ist die Gestalt, die mir als Fluch auferlegt wurde. Was, wenn der Drache die Wahrheit sagt?

Die Zweifel sind gesät, nicht nur bei William und seinen Geschwistern, auch beim Leser. Wie in einem guten Krimi, wo ein schlüssiger Verdacht mal auf den einen und mal auf den anderen fällt.

Die Kinder jedenfalls suchen auf abenteuerlichen nächtliche Streifzügen, was es braucht um den Drachen zu befreien ein Schwert, einen Kelch, einen Speer und einen Edelstein damit der sie zum Baum des Lebens führen kann, um eine seiner Früchte für den kranken Vater zu pflücken.

Tagsüber schmausen sie mit ihrem Großvater und unternehmen Ausflüge, abenteuerlicher und spannender als der andere: Fee möchte zur Elfenkönigin Titania, Herbert ins sagenhafte El Dorado, Bernadette in die Bibliothek nach Alexandria & Sagen und fantastische Figuren, historische Begebenheiten mischen sich sehr unterhaltsam, anschaulich und lehrreich.

Nach und nach finden die Kinder alles, was sie brauchen, jedes muss mit seinen speziellen Fähigkeiten mitmachen: Diana weil sie so klein ist, Herbert weil er so stark ist und auch William kann sich nicht drücken: Sein Name geht zurück auf William den Eroberer und deswegen kann nur er das magische Schwert ziehen. Am Ende muss er mit diesem Schwert kämpfen, gegen wen letztendlich und wie es ausgeht, verraten wir hier nicht.

Der Text und auch die Geschehnisse sind sehr dicht erzählt, es bleibt wenig Platzt für Nebenhandlungen oder Alltag. Dem Buch fehlt nichts, das nicht, aber wer dicke Schmöker liebt, der könnte sich das Buch auch vier- oder fünfmal so dick vorstellen: welche Krankheit genau hat der Vater? Wie lebten die Kinder in London, gingen sie zur Schule, gibt es Duschen im Schloss, haben sie genug frische Sachen dabei &? Andererseits: 272 Seiten sind ja auch schon mal was.

Der Schluss allerdings ist wirklich zu kurz: Okay, ein Showdown kann nicht stundenlang dahinplätschern, aber gerade mal zwei Seiten? Nachdem es vierzig Seiten brauchte, bis die Kinder den Großvater treffen? Und mehr als 100, bis der Drachen das erste Mal auftaucht? Das ist unfair. Und nur durch einen Folgeband wieder gut zu machen, in dem dann alles steht, wie der Drache hinter den Spiegel kam, wieso der Vater krank wurde und überhaupt wie es weitergeht!

Fazit

Dieses Buch ist spannend wie ein Krimi, fantastisch wie ein Märchen, rasant wie eine Abenteuergeschichte, interessant wie ein historischer Roman und turbulent wie eine Familiensaga: fünf Geschwister reisen zu ihrem noch unbekannten Großvater, treffen einen Drachen und suchen den Baum des Lebens mit dem dann alles gut wird, wenn auch anders als gedacht. Magisch.

Sigrid Tinz

Der Drache hinter dem Spiegel

Ivo Pala, Sauerländer

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