Der Anfang

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonJun 2015

Idee

Ein Buch über den Neuanfang nach Krieg und Zerstörung – eine mutige und gelungen umgesetzte Idee. Aber keine schnelle Lektüre für zwischendurch, sondern ein Buch, für das man sich Zeit nehmen muss.

Bilder

Großformatige, sehr realistisch gestaltete Illustrationen mit vielen Details, die den Betrachter unmittelbar in das Geschehen hineinziehen.

Text

Ausdrucksstarke Bilder brauchen nicht viele Worte: Die kurzen Texte ergänzen mit wenigen, geradezu lakonischen Sätzen die Botschaft der Bilder.

Eine Familie muss erleben, wie der Krieg ihr Zuhause zerstört. Und findet doch Trost und Hoffnung, weil es ihr gelingt, den Blick in die Zukunft zu wenden und das wenige zu schätzen, was geblieben ist.

 

"Einmal gab es einen Krieg."

Wenige lakonische Worte genügen, um die Katastrophe zu beschreiben. Eine Familie - Mutter, Vater, zwei Kinder - hat im Krieg ihr Zuhause verloren. Der Sohn, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, erzählt, wie es ihnen ergeht: Die vier sind obdachlos, haben nur noch die Kleidung, die sie am Leib tragen, leben im Auto zwischen den Trümmern zerstörter Häuser. Und doch finden sie einen Weg, mit dem Wenigen zurechtzukommen, das ihnen geblieben ist. Mehr als das: Aus der Not erwächst neue Hoffnung, weil es ihnen gelingt, den Blick nach vorn zu richten. Und so erzählt der Junge:

 

"Nach und nach hatten wir immer weniger Kleidung. "Umso besser", sagte mein Vater, "dann müssen wir nicht mehr so viel waschen."

Weil die Dunkelheit und die Geräusche der Nacht ihnen Angst machen, schlafen sie eng aneinandergekuschelt und erleben Momente inniger Nähe. Und irgendwann fangen die Jungen und Mädchen zwischen den zerstörten Häusern wieder an zu spielen, klingt Lachen durch die Trümmer, werden Autowracks zum Abenteuerspielplatz. Der Neuanfang geht von den Kindern aus: Sie feiern das Leben und die Tatsache, dass ein Ende immer auch ein Anfang ist.

Ein außergewöhnliches Bilderbuch über ein Thema, das so gar nicht in die gängigen Kinderbuch-Schemata passt. Die Berliner Illustratorin Sonja Danowski und die spanische Autorin Paula Carballeira (Übersetzung von Emilia Blasco Gärtner) legen mit Der Anfang ein Kinderbuch vor, das den Rahmen des Gewohnten sprengt. Da ist nichts niedlich oder verspielt, bunt oder glitzernd. Die Zeichnungen, deren Sepiaton an alte Fotos erinnert und die jeweils eine Doppelseite fast komplett ausfüllen, sind fast erschreckend realistisch: Zwischen den Trümmern eines Hauses liegt ein verbogener Kinderwagen, Häuser haben keine Dächer und keine Fenster mehr, mit traurigen Augen blicken der Junge, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, und seine kleine Schwester auf dem Arm der Mutter auf das, was von ihrer Heimat übriggeblieben ist.

Solche Bilder können erschrecken und verstören, weil sie Menschen zeigen, die dem Betrachter nahe kommen. Nicht nur weil sie ganz gegenwärtig aussehen, sondern auch weil sie den Betrachter mitnehmen in ihre zerstörte Welt. Der Anfang ist deshalb kein Buch, das sich Kinder mal eben zum Durchblättern mit in die Kuschelecke nehmen sollten. Es ist ein Buch, über das man reden muss und für das die Altersangabe des Verlags, der das Buch ab drei Jahren empfiehlt, etwas zu niedrig angesetzt ist.

Ein sehr knapp und sachlich formulierter Text begleitet die Bilder, mehr als zwei groß gedruckte Zeilen sind es nicht pro Seite. Es sind vor allem die Bilder, die sprechen. Sie zeigen die Familie mit dem alten, rostigen Auto, das jetzt ihr Zuhause ist, am Fluss beim Wäschewaschen, in der Nacht eng aneinandergekuschelt auf der Rückbank. Farben setzt Sonja Danowski nur sehr sparsam ein. Es dominiert ein sepiabrauner Grundton, dazu einige Pastelltöne. Bröckelnde Mauern, zerstörte Scheiben, zerfetzte Bücher sind fast fotorealistisch dargestellt. Die Hoffnung, die allmählich zurückkehrt, spiegelt sich vor allem in den Gesichtern der Kinder. Sie lächeln wieder - nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Augen:

 

"Wir waren am Leben. Es war wie ein Fest."

Welchen Krieg die Familie erleben muss, wie die Kinder, der Vater, die Mutter heißen, in welcher Stadt sie leben - all das erfährt man nicht in diesem ungewöhnlichen Bilderbuch. Die Familie steht stellvertretend für alle Menschen, die Bomben, Zerstörung oder Flucht erleiden müssen. Damit kann Der Anfang helfen, die Nachrichten über aktuelle kriegerische Konflikte und Flüchtlingsschicksale für Kinder nachvollziehbar und begreifbar zu machen. Möglicherweise bringt das Buch auch Gespräche zwischen Enkeln und Oma oder Opa in Gang, denn viele Großeltern haben als Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg genau das erlebt, was auf den Zeichnungen zu sehen ist: eine Kindheit zwischen den Trümmern, Zerstörung und der Neubeginn.

Fazit

Ein Bilderbuch über eine Familie, die ihr Zuhause im Krieg verliert - kann das funktionieren? Das Konzept von Der Anfang ist mutig, geht aber auf, weil Bilder und Text auf beeindruckend einfühlsame Weise ihre Botschaft vom Anfang transportieren, der jedem Ende innewohnt. Kein Buch mal eben so für zwischendurch, sondern ein Buch, das Kinder (und Eltern) fordert - und Hoffnung macht.

Eva Dignös

Der Anfang

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