Die Rabenrosa

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Sigrid Tinz
88%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonSep 2015

Idee

Das Buch über das Mädchen Rosa und ihre Rabenfamilie handelt vom Anders- und Trotzdem-in-Ordnung-sein: ganz eindeutig und gleichzeitig völlig unplakativ.

Bilder

Schöön! Eher grau und dunkel – es sind halt viele Raben zu sehen; Rosa als Farbtupfer und sehr abwechslungsreich, mal doppelseitiges Panorama, mal comicartige Bildkästen.

Text

Beschreibt, was Rosa so erlebt, denkt und erzählt – und gibt wie nebenbei die richtigen Hinweise und Denkanstöße. Schön vorzulesen.

Im Rabennest schlüpfen die Küken. Die Eltern stopfen Wurm um Wurm in die aufgesperrten Schnäbel, die Kleinen bekommen Federn, krächzen um die Wette und üben fliegen. Eines der Kinder aber sieht völlig anders aus: es hat keinen Schnabel, keine Federn und keine Flügel und es kann auch nicht krächzen. "Unsere kleine Rosa" nennt die Rabenmama sie liebevoll. Und von ihr handelt dieses Buch.

Rabenrosa ist ein Buch übers Anders- und Normalsein, über Außenseiter und übers Außenseiter-nicht-Ausgrenzen, über den Wunsch Dazuzugehören und die Fähigkeit, sich selbst anzunehmen wie man ist und das zu machen, was einem gut tut. Aber, wenn ich das mal so sagen darf, es ist ein bisschen anders. Viele der normalen Anders-sein-Bücher behandeln das Thema nämlich explizit und plakativ, manche tragen es sogar im Titel wie die Klassiker Fiete Anders oder Das kleine Ich bin Ich. Trotzdem braucht es manchmal ganze Unterrichtseinheiten oder zumindest ein bisschen gedankliche Nachhilfe, um den Kindern die Botschaft klar zu machen. Da ist zum Beispiel das kleine Ich-bin-ich, ein buntkarierter Stoffhaufen mit Schlappohren und Fusselschwanz. Es trifft einen Frosch, der quakt: "Wer bist denn du?" Und hackt auf dem Wesen herum: "Wie du weißt es nicht, du namenloses Tier, du bist ja dumm!" Was das karierte Tierchen in eine regelrechte Lebenskrise stürzt. Frage an die Kinder: "Ist das nicht ein bisschen gemein, wie der Frosch mit dem Tierchen umgeht?" Antwort: "Hm. Aber das sieht ja wirklich total albern aus." Oder: "Vielleicht sollte es sich umfärben und die Ohren abschneiden, dann wäre es vielleicht ein echtes Tier. Ein Hund vielleicht." "Au ja, dann könnte es den Frosch auffressen, wo der so gemein ist."
Die Geschichte von Rosa funktioniert anders.

Denn der Außenseiter bzw. in diesem Fall die Außenseiterin ist ein ganz normales kleines Menschlein. Das, warum auch immer, aus einem Rabenei schlüpft: "Hoch oben auf einem Baum lag unser Nest. Gleich, als wir aus dem Ei geschlüpft waren, nahmen uns Mama und Papa unter ihre Flügel. Da war es schön warm." Eins der Babys, das stellt sich bald heraus, kriegt aber keine Federn. Weswegen es immer friert und weswegen der Papa einfach mal ein Kleid und eine Mütze besorgt. Die Sachen sind rosa und damit hat dieses Baby seinen Namen weg: "Unsere kleine Rosa."

Rosa ist kein Rabe. Sondern, wie man auf den Bildern schon von Anfang an längst gesehen hat, ein kleiner Mensch. Und damit ist klar, mit wem sich die kleinen und großen Leser und Leserinnen identifizieren. Mit Rosa. Mit der Außenseiterin. Die wir eigentlich völlig normal finden, was sie ja auch ist - für einen Menschen.
Aber eben nicht für einen Vogel. Falken, Eulen, Geier und andere gefiederte Kollegen sieht man eine Doppelseite weiter auf dem Ast hocken, die Arme verschränkt, die Stirn in Sorgenfalten. "Sie starrten uns an und flüsterten: "Das arme Würmchen! Es sollte die Flügel trainieren!" Oder: "Ziemlich hässlich ist es, reibt es mit Birkenblättern ein, das lässt die Federn wachsen."

Und Rosa übt Krächzen, trainiert ihre Ärmchen und reibt sich mit Birkenblättern ein, um endlich so zu werden wie alle anderen. Aber es wird ihr bald zu dumm, außerdem klappt es nicht. Sie hat Hände und keine Flügel! Und bald findet sie heraus, womit sie ihre Hände gebrauchen kann: um sich die Ohren zu verstopfen, wenn die anderen Vögel zu laut sind zum Beispiel oder um sich auf dem Rücken ihrer Eltern festzuhalten, wenn sie zu einem anderen Nest fliegen. Rosa ist die Ich-Erzählerin des Textes und zusammen mit den vielen Bildern von ihr und ihrem Leben mal als Panorama, mal als hintereinander gereihte Bildkästen und ihrer sehr ausdrucksstarken Mimik liest sich die Entwicklung der Geschichte einfach so mit. Ohne große Interpretationsbemühungen wird klar, was die Aussage ist: Rosa ist Rosa und sie soll bleiben dürfen, wer sie ist.

Nebenbei ist es ein sehr schönes Bilderbuch: Die Illustrationen sind gemischt aus Zeichnungen und Collagen aus buntbedrucktem Papier, die Farben sind eher gedeckt, beige, grau, rabenschwarz und dazwischen die hübsche kleine Rosa. Und die kleinen Rabenbabys sind so herzig gezeichnet, dass man sie einfach süß finden und mögen muss.
Irgendwann ziehen ihre Geschwister in die Welt. Rosa bleibt bei ihren Eltern, sie hilft dabei, die nächsten Rabenbabys großzuziehen. Und trifft eines Tages auch einen Frosch. Es könnte der aus "Ich-bin-Ich" sein, er fragt auch das gleiche: "Was bist du eigentlich für eine?" Aber anders als das Fusselwesen hat Rosa sich selbst längst gefunden. Sie antwortet schlicht: "Ich bin die Rabenrosa." Und verabredet sich mit ihm für den nächsten Tag zum Schwimmen lernen.

Fazit

Geborgenheit im heimischen Nest, groß und selbständig werden, Freunde finden davon handelt dieses Buch. Es handelt auch von einer liebenswerten Rabenfamilie und besonders von einem der Rabenkinder: Rosa, die so ganz anders ist als ihre Geschwister. Ohne Federn und Flügel, und krächzen kann sie auch nicht Rosa ist nämlich ein kleiner Mensch. So wie ich, du, wir alle, die dieses Buch anschauen. Und aus dieser Perspektive die Aussage des Buches ganz automatisch mitlesen: Wer anders ist, muss sich nicht anpassen, es klappt auch gar nicht richtig. Sondern jeder ist rundum in Ordnung, so wie er ist. Und die Bilder sind wunderschön.

Sigrid Tinz

Die Rabenrosa

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