Wenn man selbst dran glaubt, ist es nicht gelogen

  • KJB
  • Erschienen: Oktober 2016
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Sigrid Tinz
84%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonOkt 2016

Idee

Annika ist 12 und lügt für ihr Leben gern – und in diesem Sommer auch, um ihr Leben aushalten zu können, und als sie anfängt die Wahrheit zu sagen, glaubt ihr keiner.

Text

Auktorial erzählt, aber aus Annikas Sicht, eher ernst als lustig.

Annika liebt Lügen, einfach, weil es Spaß macht und nicht so langweilig ist wie die Wahrheit. Sie lügt, aus Langweile, auch mal, um gemein zu sein und mal so, um nett zu sein. Sie lügt auch, um den Erwachsenen einen Gefallen zu tun, die zwar darauf bestehen, dass man nicht lügen darf, aber die wirklichen Wahrheiten doch nie aussprechen: Dass man lästig ist, zum Beispiel, oder dass der kleine Bruder als winzige Frühgeburt im Krankenhaus liegt und vielleicht seinen eigentlichen Geburtstermin nicht erleben wird.

Annika macht aus allem eine Flunkerei, wenn sie sich eine Tafel Schokolade kauft, erzählt sie dem Verkäufer, dass es ihre letzte sein wird, weil sie am nächsten Tag den Magen herausoperiert bekommt, in der Schule verkündet sie, dass sie bald nach Ägypten ziehen und dass es Schlange zum Mittagessen gab. Sie lügt zum Spaß, einfach so, weil es nicht so langweilig ist, weil sie so immer für eine Geschichte gut ist, mal auch einfach, um nett zu sein oder um Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Kennen wir ja alle, diese Alltagsflunkereien, von "Es hat geklingelt, ich muss auflegen" oder "Die neue Frisur steht dir prima" bis hin zum sehr aufgepimpten Bericht aus dem Urlaub - wie blau das Wasser und wie toll das Büffet und wie nett der Surflehrer wirklich war, kann ja keiner nachprüfen. Was sie definitiv nicht tut: Zu lügen, um selbst dran zu glauben. So klingt es ja ein bisschen im Titel ankündigt: "Wenn man selbst dran glaubt, ist es nicht gelogen." Im Gegenteil. Sie weiß immer genau, was die Wahrheit ist.

Und sie weiß auch, dass die Erwachsenen zwar immer darauf bestehen, dass man nicht lügt, aber den Kindern Lügen auftischen, wenn die nicht darauf bestehen, die Wahrheit zu erfahren. Und zwar besonders, wenn es nicht darum geht, wer den schönsten Urlaub hatte. Sondern um wichtige Wahrheiten. So wie bei Annika. Deren kleiner neuer Bruder viel zu früh auf die Welt gekommen ist. Und nicht nur klein und winzig ist - wie Mama und Papa sagen - sondern um sein Leben kämpft. Wie sie nach und nach erfährt. Und auch das "Kämpfen" ist ja falsch, gelogen, denn diese Handvoll Menschlein kämpft nicht, sondern liegt nackt und hilflos an Schläuchen und Kabeln angeschlossen im Brutkasten und tut nichts, außer nicht zu sterben oder vielleicht doch.

Und: Erwachsene sind auch eigentlich nicht sehr darauf erpicht, die Wahrheit zu hören, auch das weiß Annika. Sie geben sich gerne mit einer Lüge zufrieden, wenn die ihnen das Gefühl gibt, dem Kind geht es gut. Und so glauben sie, Annika geht es gut bei Opa, als Mutter und Baby im Krankenhaus sind und der Vater auch oft; und dass sie die Ferien genießt mit Freundinnen und es nur selten schafft, im Krankenhaus vorbei zu schauen. Die Wahrheit ist, dass Annika tiefunglücklich ist, weil die frühe Geburt ihr den letzten Sommerurlaub mit ihren Eltern alleine verdorben hat; dass Opa in der Sommerhitze schlapp macht und sie sich in erster Linie um sich selber kümmert; dass sie nicht gerne in die elterliche Wohnung geht, weil sie sich ekelt vor den verblassten Blutflecken in der Küche, die von der Sturzgeburt übrig geblieben sind. Stattdessen streift sie durch Stockholm und lernt in einem Park andere Kinder kennen, denen es ähnlich zu gehen scheint. Sie freunden sich an, sie treffen sich regelmäßig und sie spielen Wahrheit oder Pflicht. Aber nur mit Pflicht, was mehr und mehr in waghalsige Mutproben ausartet. Aber meistens gut ausgeht.

Am Ende des Buches sind die Sommerferien zu Ende, der kleine Bruder hat die kritische Phase überstanden und als Annika in der Schule ausnahmsweise mal die Wahrheit erzählt, wie ihre Ferien waren, dass sie nicht in Urlaub gefahren sind, weil ihre Mutter in der Küche ein Baby geboren hat, das beinahe gestorben wäre und sie deswegen den ganzen Tag mit anderen wohlstandsverwahrlosten Kindern im Park abgehangen und Mutproben veranstaltet hat, glaubt ihr natürlich, wie immer, keiner.

Fazit:

Ein Buch über Wahrheit und Lüge, aber doch anders als der Titel vermuten lässt und auch das im Klappentext angekündigte Sommerferienabenteuer ist es keinesfalls. Was ist es dann? Dramatisch und abenteuerlich, aber auch ein bisschen traurig und sehr ernst. Interessant auf jeden Fall, die Geschichte und auch das Mädchen Annika mit vielen klugen Gedanken über Wahrheit und Lügen - aber ohne Moral von der Geschicht.

Sigrid Tinz, Oktober 2016

Wenn man selbst dran glaubt, ist es nicht gelogen

Cilla Jackert, KJB

Wenn man selbst dran glaubt, ist es nicht gelogen

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