Unendlich mal unendlich mal mehr

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Sigrid Tinz
89%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonJan 2019

Idee

Freundschaft, erste Liebe, Normalsein und Anderssein – wichtige Themen für alle zwischen Kindsein und Erwachsenwerden. Zeitlos und gleichzeitig sehr heutig.

Text

Knapp geschrieben, aber sehr dicht. Und zwischen den vergleichsweise wenigen Zeilen liest und sieht man so viel mehr als dort steht.

Drei Freunde in einer Kleinstadt; alle drei sind etwas anders als normale Kinder, aber ein eingeschworenes Team.

Petra lebt bei ihrer alleinerziehenden Mutter, die viel und auch abends oft arbeitet. Sie hat als besten Freund den verhaltensauffälligen Chris, Stotterer mit sozial-emotionaler Störung und großen Schwierigkeiten bei der Impulskontrolle. Petras beste Freundin ist Melika, noch neu in der norwegischen Kleinstadt, ein Flüchtlingskind. Melika lebt mit ihren Eltern hier, der große Bruder Javid ist woanders in Europa und versucht nachzukommen, was nicht so einfach und auch nicht ungefährlich ist.

Petra ist eigentlich ganz normal, zumindest für sich selbst. Dass die Schuhe im Flur immer parallel nebeneinander stehen müssen und sie sich immer genau zehnmal die Haare bürsten muss, ist für sie völlig logisch. Fühlt sich gut an, gerade, ordentlich. Anders fühlt es sich schlecht an; als könnte etwas Schlimmes passieren. Petra glaubt: Wenn sie immer auf die Schuhe achtet, nicht auf Gullideckel tritt und nicht Schwimmen geht, dann wird Javid es schaffen, bald zu kommen.

Dass sie Wasserangst hat, erklärt sie sich selbst mit den unordentlichen Wellen. Und dass sie einmal ins Eis eingebrochen ist. Zum Glück hat Chris sie gerettet.

Dann kommt der Tag, als in der Schule die Zahl "pi" dran ist. Eine Zahl mit unendlich vielen Stellen nach dem Komma. Als Petra sich das vorstellt, wie die Reihe nie aufhört und nie ordentlich und gerade sein wird, muss sie sich mitten im Mathematikunterricht übergeben. Als sie den Grund ihrer Übelkeit erklärt, muss sie zum Schulpsychologen.

Der findet Worte für Petras Art: es sind Zwangsgedanken oder magische Gedanken. Er übt mit ihr, sich davon zu lösen. Sie lernt zum Beispiel in kleinen Portionen die Nachkommastellen von pi auswendig. Oder geht mal wieder ins Schwimmbad, erst mal nur zum Zuschauen.
Dort im Schwimmbad trifft sie den Neuen. Thomas, 13, frisch zugezogen in die kleine Stadt, nur er und sein Vater. Er sucht Kontakt und die beiden freunden sich an. Petra traut sich mit ihm, Schwimmen zu üben; er fühlt sich mit ihr nicht mehr einsam. Die beiden verlieben sich, das erste Mal, ein Gefühl wie Schmetterlinge und Brausepulver. Für Petra gibt es auf einmal kaum noch Regeln und magische Gedanken, nur noch Thomas. Sie kann an nichts mehr denken. Was befreiend ist für sie. Aber sie denkt auch nicht mehr an ihre Freunde, Chris und Melika. Die anderen, normalen, Mädchen neiden es ihr, dass ausgerechnet sie diesen tollen Typen abgekriegt hat. So gibt es mitten im großen Glück auch viele Streitereien, Traurigkeit und Missverständnisse.

Am Ende können Kinder und Erwachsene alles klären. Und auch Javid kommt wohlbehalten in Norwegen an. Nicht weil Petra die richtigen Gedanken gedacht hat. Sondern weil sich alle dafür eingesetzt haben, aktiv etwas getan haben, um Melikas Bruder herzuholen.

Das Thema Migration steht in diesem Buch nicht im Zentrum, genauso wenig wie der verhaltensauffällige Chris oder das Leben in Einelternfamilien. Es gehört einfach alles zusammen, gehört zum Leben dazu. Zu Petras Leben, zum heutigen Leben. Genauso wie Freundschaft, Angst, Liebe, Verantwortung, Toleranz.
Dass niemand normal ist oder eben Durchschnitt und dass es eigentlich normal ist, nicht normal zu sein, zeigt dieses Buch ganz wunderbar. Auch wenn man selber keine Zahlenzwänge hat oder magische Zwangsgedanken; mehr oder weniger große und kleine Beklopptheiten hat wohl jeder von uns und wird sich ein kleines bisschen wiedererkennen. Und wer wirklich ganz, ganz normal ist, hat hier eine wunderbare Geschichte um drei nicht ganz normale Kleinstadtkinder, die am Beginn des Erwachsenwerdens ganz schön viel zu bewältigen haben. Für den dichten Inhalt hat das Buch verhältnismäßig wenig Text. Aber jedes Wort ist so gewählt und gesetzt, dass in jedem einzelnen Satz mehr drinsteckt als üblich. Gleichzeitig ist es leicht und schnell zu lesen, die Geschichte passiert im Kopf des Lesers.

Fazit:

Drei Freunde in einer Kleinstadt; alle drei sind etwas anders als normale Kinder, aber ein eingeschworenes Team. Bis das Leben dazwischenkommt und alles in Bewegung und auch durcheinander bringt. Von Verhaltensauffälligkeit bis erste Liebe, von Freundschaft bis Mobbing, von großer Politik bis zum persönlichen kleinen Schicksal - in diesem Buch ist all das drin und noch viel mehr. Und so gut verpackt in die Geschichte, dass es gar nicht auffällt. Und so umso besser wirkt.

Sigrid Tinz

Unendlich mal unendlich mal mehr

Ingrid Ovedie Volden, Thienemann

Unendlich mal unendlich mal mehr

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