Linie 912

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Rita Dell'Agnese
90%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonAug 2019

Idee

Eine bezaubernde Idee mit lebensnahen Charakteren

Bilder

Die Illustrationen nehmen den Text wunderbar auf und machen ihn sichtbar

Text

Die Geschichten in leicht verständlicher Sprache kommen sehr nahe an die Leser heran

30 Minuten – 10 Geschichten

Leon hat Geburtstag. Deshalb hat er heute eine grosse Schüssel voller Muffins dabei. Eines für jeden in seiner Klasse. Der Teig hat gerade so gereicht. Mit der Schüssel steigt Leon in den Bus der Linie 912, der ihn bis zur Schule bringen soll. Aber es ist kein guter Tag. Leons Stammplatz ist besetzt. Er muss sich einen anderen Platz suchen. Aber nicht ausgerechnet hinten bei Nuno, der einst sein bester Freund war. Nuno geht nun in eine andere Schule und hat andere Freunde. Leon ist traurig darüber. Er vermisst Nuno. Heute wird der Bus von Enno gefahren. Leon fürchtet sich ein wenig vor dem bärtigen Chauffeur mit dem aufmerksamen Blick. An der nächsten Haltestelle steigt ein Mädchen ein, das er im Bus noch nie gesehen hat. Tami. Normalerweise fährt sie mit dem Rad zur Schule. Aber heute ist der Hinterreifen platt. Sie setzt sich in die Nähe von Leon und mustert die grosse Schüssel mit den Muffins genau. Denn Tami hat ihre Frühstücksbox zu Hause vergessen. Leon kämpft mit sich, dann will er Tami einen Muffin anbieten – seinen eigenen. In diesem Moment bremst der Bus stark. Die Muffins fliegen im hohen Bogen durch den Bus. Hin zum Kinderwagen, in dem Rubi ununterbrochen schreit. Hin zu Ansgar, der eine anstrengende Nachtschicht hinter sich hat und auf dem Stammplatz von Leon sitzt. Alle bemühen sich, die Muffin-Krümel zusammen zu suchen. Auch Nuno. Und Rubis Bruder Uland, der seit der Geburt der kleinen Schwester lieber auf einem anderen Planeten zuhause wäre. Die Minuten im Bus machen aus den verschiedenen Menschen eine Gemeinschaft. Eine halbe Stunde verändert so vieles.

Eine Situation, verschiedene Erlebnisse

Mit dem Buch «Linie 912» ist es Autor Thilo Reffert gelungen, zwei wichtige Themenkreise anzuschneiden. Zum einen ist es die blosse Tatsache, dass in einem Bus mehrere Menschen sitzen und das selbe Ereignis erleben, aber eine völlig unterschiedliche Sicht auf die Dinge haben. So kann den Kindern der Alters-Zielgruppe gut verständlich gemacht werden, dass es niemals nur eine einzige Wahrheit gibt, sondern jede Situation für jeden Menschen eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung und Einordnung bringt. Interessant sind die Folgen, die das Ereignis – das brüske Bremsmanöver des Busses – für die jeweiligen Personen hat. Für alle verändert sich etwas zum Guten. Selbst die beiden Figuren, die nicht im Bus selber mitfahren – die alte Dame Ida und Hund Götz – sind in die Geschichte eingebunden und tragen etwas dazu bei, dass sich alles so entwickelt, wie Thilo Reffert das eben beschreibt. Es ist also ein überaus vielschichtiges Buch über Gefühle, Wahrnehmungen und auch Verletzungen.

Lauter kleine Happen

Aufgeteilt ist das Buch in lauter kleinere Lesehappen. Insgesamt 10 Geschichten warten auf die neugierigen Leseanfänger oder können als Gutenachtgeschichten vorgelesen werden. Was zunächst als Einzelgeschichte daherkommt, wird immer stärker in die nachfolgenden Geschichten eingebunden, bis eine nahezu vollständige Sicht auf die Situation ermöglicht wird. Mag man zu Beginn noch rätseln darüber, wieso der Busfahrer plötzlich Dinge hervorzaubert, die die Situation retten, so wird es bei seiner eigenen Geschichte schlüssig aufgelöst. Ähnlich verhält es sich mit der mit den verschiedenen, teilweise arg verstrickten persönlichen Beziehungen, die in diesen kurzen Lesestücken angesprochen werden. Ob es nun die angeschlagene Freundschaft ist zwischen Leon und Nuno oder die familiäre Beziehung von Uland, Rubi und deren Mutter: Thilo Reffert erklärt schlüssig, weshalb die einzelnen Charaktere so handeln, wie sie es tun.

Anstoss zum Nachdenken

Das kleine Buch lädt dazu ein, auch über sich selber nachzudenken. Ist alles um mich herum wirklich so, wie ich es wahrnehme? Oder ist das, was mich verletzt, vielleicht gar nicht so gemeint? Das nervige Baby, das nur schreit, weil es gerne etwas Anderes essen würde, als die Milch von der Mutter, nervt plötzlich nicht mehr so arg, wenn man es versteht. Nuno, der den Halteknopf drückt, damit er zu spät zur Schule kommt und damit einer unangenehmen Situation ausweichen könnte, wird vom Schlingel zum zerknirschten Jungen. Uland, der auf einem anderen Stern leben möchte, wird zum Jungen, der Angst hat, dass er neben der kleinen Schwester Rubi nichts mehr wert ist. Thilo Reffert fühlt sich gut in die verschiedenen Figuren ein und macht ihre Ängste und Gedanken für die Leser sichtbar. Sehr schön begleitet wird der Roman durch die Illustrationen von Maja Bohn, die dem Buch eine besondere Note geben.

Fazit:

«Linie 912» ist ein unterhaltsames Lesestück, dessen besondere Stärke sich erst nach und nach offenbart: Es sind nicht nur die einzelnen kleinen Geschichten, die den Reiz des Buches ausmachen, sondern die verschiedenen Sichtweisen, bezogen auf eine ganz spezielle halbe Stunde im Bus. Thilo Reffert holt seine Leser ab und führt sie optimal durch die Geschichten hindurch.

Linie 912

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