Das Pentomino-Orakel

Das Pentomino-Orakel
Das Pentomino-Orakel
Wertung wird geladen
Kinderbuch Couch
92%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonSep 2005

Idee

Pentominos, mysteriöse Ereignisse, unerklärliche Zufälle...Petra und Calder sind einem Kunstverbrechen auf der Spur und geraten in manch brenzlige Situation.

Bilder

Mehr als stimmungsvoll, sind die s/w-Illustrationen durch einen versteckten Code zudem Mittelpunkt der aktiven Auseinandersetzung mit der Erzählung.

Text

Spannend und raffiniert komponierte Geschichte bis zur letzten Seite, die auch etwas Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert.

Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*, Kinderbuch des Monats (09.2005). Die Zutaten des eindrucksvollen Kinderbuch-Debüts von Blue Balliett sind ebenso reichhaltig wie fesselnd. Ein weltberühmtes Kunstwerk wird gestohlen und der Dieb droht es zu zerstören. Fast unmerklich legt sich ein dichtes Netz aus Zufällen, mysteriösen Briefen, rätselhaften Ereignissen und verdächtigen Personen um Petra und Calder. Ausgestattet mit viel Kombinationsgabe, Pentominos sowie einer gehörigen Portion Neugier und Mut machen sich die beiden auf die Suche und begeben sich dabei in manch brenzlige Situation!

Petra Andalee und der Junge Calder Pillay, gehen in die gleiche Klasse der Universitätsschule in einem Viertel von Chicago. Calder trägt immer Pentominos bei sich, ein zwölfteiliges mathematisches Werkzeug, mit dem man mit etwas Übung Rechtecke zusammenlegen kann. Jedes einzelne Pentomino ist wegen seiner Form nach einem Buchstaben benannt. Calder liebt Pentominos und gebraucht sie gerne als ";Orakel";. In allen möglichen Situationen zieht er ein beliebiges Pentomino aus seiner Hosentasche und beginnt mit seiner Wortassoziation: z.B. ";P"; wie Problem.

Die Geschichte beginnt mysteriös und erwartungsvoll. Drei Personen, ein Mann und zwei Frauen, erhalten des Nachts einen Brief ohne Absender mit dem merkwürdigen Hinweis auf ein Jahrhunderte zurückliegendes Verbrechen, durch das einem der bedeutendsten Maler der Welt großes Unrecht geschehen sei. Die Empfänger werden zur Mithilfe bei der Aufklärung gebeten und keiner der drei sieht einen ernsthaften Grund es nicht zu tun oder zumindest zu probieren. Mehr erfahren wir zunächst nicht und Blue Balliett widmet ihre Aufmerksamkeit ganz dem Einflechten der Hauptcharaktere in die Erzählung.

Da ist die neue Lehrerin Ms Hussey, die von Petra und Calder wegen ihrer unkonventionellen Art den Unterricht abzuhalten gemocht wird. Wir treffen Vincent Watch aus Powells Antiquariat und seine Stammkundin, die alte Ms Sharpe. Ein vormals von Ms Sharpe gelesenes Buch landet in den Händen von Petra, die von diesem Buch mehr als fasziniert ist: Da! (im engl. Lo!) von Charles Fort, einem Schriftsteller (1874-1932), der mit seiner Sammlung unerklärlicher Phänomene und rätselhaften Erscheinungen vor allem im angelsächsischen Sprachraum bekannt ist und der stets die Wissenschaft für ihren engen Blick kritisierte. Blue Balliett bringt Charles Fort dramaturgisch sehr geschickt ins Spiel, bereitet sie doch damit der Erzählung genau den Nährboden, der geeignet ist, um die eigenen Gedanken etwas zu öffnen und auch im Unerklärlichen das Wahre wachsen zu lassen.

Denn kurz darauf hat Petra einen eigenartigen Traum von einer Frau, der Sie tief beeindruckt und sogar so berührt, dass Sie an Halloween beschließt sich wie diese Frau zu verkleiden. Calder entdeckt in diesem Kostüm eine Frau, die er kurz zuvor bei seinen Recherchen für Ms Husseys Unterricht auf einem Bild in einem Kunstbuch gesehen hat. Petra und Calder können in Erfahrung bringen, dass es sich bei diesem Bild um das Gemälde ";Briefschreiberin in Gelb"; vom niederländischen Künstler Johannes Vermeer handelt, von dem bereits das Bild ";Der Geograph"; auf einer Holzschachtel von Calder und im Wohnzimmer bei MS Sharpe zu sehen ist. Da sind für Petra und Calder, ohne Frage, etwas zu viele Zufälle im Spiel.

Petra und Calder beginnen Nachforschungen über Vermeer und seine Werke anzustellen, als kurz darauf eine Zeitungsmeldung für Aufregung sorgt: Die ";Briefschreiberin in Gelb"; wurde gestohlen. Bereits am darauf folgenden Tag meldet sich der Täter über einen anonymen Brief in einer Zeitung und droht, das Gemälde zu zerstören, wenn seinen Forderungen nicht nachgekommen wird. Die Öffentlichkeit ist in Aufruhr und selbst in der Schule gibt es nur noch ein Thema. Die Zeit läuft und ohne es zu ahnen haben für Petra und Calder die aufregende Suche nach dem Kunstwerk und das Rätsel um den Täter schon lange begonnen...

Geschickt spinnt Blue Balliett ihr Geflecht an Vermutungen und Begebenheiten und spielt dabei souverän mit dem Unwissen des Lesers. Regelmäßig streut sie vermeintlich bedeutungsvolle Hinweise oder Momente ein, legt eine neue Fährte aus und liefert neues Rätselfutter. So bleibt die ";Verdächtigenliste"; nie leer und enthält nach einem Ehestreit sogar Petras Vater. Versucht man dabei die einzelnen Hinweise zusammenzubringen, ist es wie beim ersten Spiel mit Pentominos. Ein richtiges Rechteck will (noch) nicht gelingen. Und so steigt von Seite zu Seite der Drang endlich in Erfahrung bringen zu wollen, wer hinter dem mysteriösen Kunstverbrecher steckt und wo sich das gesuchte Kunstwerk befindet.

Blue Balliett baut mit dem richtigen Timing spannungsgeladene Momente ein, in denen der Pulsschlag der Kinder beim Lesen garantiert schneller werden dürfte und nicht nur während Calders unfreiwilligen Aufenthaltes allein im finsteren Schulkeller auch die Atemfrequenz deutlich beeinflussen dürfte.

Aber ";Das Pentomino-Orakel"; ist auch ein Buch das Konzentration und vor allem Aufmerksamkeit fordert, denn zu schnell könnte man über eine raffinierte Wendung oder einen irreführenden Hinweis den Zusammenhang aus den Augen verlieren. Das darf positiv gewertet werden, denn schließlich ist die Aufforderung, genau zu beobachten, neugierig zu bleiben, eigene kritische Gedanken zu liefern, eine spürbare Motivation des Buches, die sich später fast schon ";manifestiert";. Denn mit dem ";Tommy-Calder-Code"; lässt Blue Balliett den Leser zwangsweise stoppen. Tommy, ein enger weggezogener Freund kommuniziert mit Calder schriftlich mittels eines selbst erfundenen Codes. Dabei wird jeder Buchstabe des Alphabets durch einen völlig anderen Buchstaben mit zusätzlicher Zahl ersetzt. Einige solcher Briefwechsel müssen dann in dem Buch entschlüsselt werden und da bleibt den lesenden Kindern nichts anderes übrig, als ein Stück Papier zur Hand zu nehmen und den Code Buchstabe für Buchstabe aufzulösen. Bei aller Komplexität wahrt Blue Balliett aber stets den Charakter eines Kinderbuches und führt den Leser souverän durch die kurzen Kapitel.

Die Ausstattung der 1. Auflage von Fischer-Schatzinsel ist nicht minder ";ereignisreich";. Dem 256 Seiten umfassenden Kinderbuch liegt ein echtes Pentominospiel bei, auf dem die ";Briefschreiberin in Gelb"; abgebildet ist. Der schön gestaltete Einband zeigt auf der Vorderseite ebenfalls das Gemälde und auf der Rückseite ";Der Geograph";, jeweils eingearbeitet in die Illustrationen von Regine Kehr, die das Buch zudem mit zahlreichen weiteren s/w-Illustrationen sehr gelungen ausstattet. Die Illustrationen tragen ihren nicht unwesentlichen Teil dazu bei, die passende Stimmung aufzubauen und eine angenehme, klare Nähe zu den Hauptdarstellern aufzubauen. Denn zumeist stehen Petra und Calder im Fokus der kontrastreichen Bilder und so haben die Leser stets ihre ";Helden"; im Blick.

Damit nicht genug. In den insgesamt 24 Bildern wartet ein von der Illustratorin eingearbeiteter Code, gänzlich unabhängig von der Geschichte, ebenfalls darauf entschlüsselt zu werden. Fischer-Schatzinsel veranstaltet dazu auf der Verlagswebsite (www.fischerschatzinsel.de) ein Gewinnspiel. Hier wurde viel crossmediales Potential ausgeschöpft.

Der deutsche Titel ";Das Pentomino-Orakel"; rückt vom amerikanischen Originaltitel ";Chasing Vermeer"; (zu dt. etwa ";Jagd auf Vermeer";) ab. Wenngleich wir einige wenige Informationen über den wahrhaft großen niederländischen Maler erfahren, über dessen Vergangenheit ja bekanntermaßen nur sehr wenig Details verfügbar sind und dessen beeindruckende Werke teilweise erst spät seinem Schöpfer zugeordnet werden konnten, ist das Pentomino-Orakel kein Buch über Kunst im klassischen Sinne und trotz des ";mathematischen Werkzeuges"; auch keines über die Mathematik. Dennoch zieht sich die kreative Umgang mit der kindlichen Neugier, die Freiheit des Denkens und der selbstständige, natürliche Drang sich mit seiner Umwelt zu beschäftigen durch das Buch. Werfen wir noch kurz einen Blick auf Blue Ballietts Biographie: Die in New York aufgewachsene Autorin hat zahlreiche Arbeitsstationen durchlebt und erwähnt in einem Interview auch ihre Vergangenheit als Lehrerin. Danach fällt es nicht weiter schwer in der Rolle der Ms Hussey auch ein klein wenig ";autobiographisches Material"; zu entdecken.

Fazit: ";P"; wie packend!

Das Pentomino-Orakel ist im besten Sinne einfallsreiche Kinderbuch-Unterhaltung. Das trifft sowohl auf den Inhalt als auch auf die Ausstattung zu. Sehr Spannend und mit viel Raffinesse komponiert, werden lesehungrige Kinder wohl nur ungern das Buch vor Lesen der letzten Seite weglegen wollen. Die kreative Ausgestaltung des Titels ist mehr als motivierend. Müsste ich ein Pentomino zur Bewertung des Titels wählen, ich würde mich für das ";P"; entscheiden: packend! - von der ersten bis zur letzten Seite! Blue Balliett hat bereits die Arbeit an einem weiteren Titel mit Petra und Calder angekündigt. Wir dürfen gespannt sein...

Stefanie Eckmann-Schmechta

Das Pentomino-Orakel

Blue Balliett, Fischer Schatzinsel

Das Pentomino-Orakel

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Das Pentomino-Orakel«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Lesen und Hören
mit System

Lesestifte und Audiosysteme für Kinder.
Der große Test.

mehr erfahren