Erst Antiheld, dann Wunderwesen
Zikaden sind Insekten, es gibt mehr als 45 000 Arten. Schöne bunte Schmuckzikaden, Singzikaden, knubbelige Buckelzikaden – und diese Zikade hier, die Hauptperson dieses Bilderbuchs. Optisch sind Zikaden nicht so niedlich wie Hummeln oder lustig wie Regenwürmer oder pummelig wie Käfer. Aber die Sympathiewelle für die vom Massentod bedrohten Insekten macht es möglich, dass auch ein etwas ungwöhnlich aussehendes Tier Hingucker auf dem Buchcover wird. Und viele Kinder tatsächlich zugtreifen lässt.
Zikade, das Arbeitstier
Zuerst sieht man wenig Insektisches. Der Chitinpanzer und die Krabbelbeinchen stecken in einem grauen Anzug, nur der grüne kullerunde Kopf mit den großen Facettenaugen schaut oben raus. Ein leuchtender Fleck in einr labyrinthartigen Bürowelt. Denn dort arbeitet Zikade, als stilles Arbeitstier, zwischen grauen Menschen, Fluren, Wänden, sitzt es Tag für Tag in seinem Kämmerchen, schlecht bezahlt, so schlecht, dass es sich kein Haus leisten kann. Deswegen schläft Zikade auch im Büro in einer Ecke, kann um so länger arbeiten und am nächsten Tag um so früher damit anfangen.
Graue, ruhige, mystische Bildsprache
Die Bildsprache hat etwas Ruhiges, Mystisches. Das Büro wirkt wie ein Uhrwerk, das Zikadengrün leuchtet darin besonders hell. Die eigentlich ziemlich bedrohliche Situation – gesichtslose graue Menschen mobben ein freundliches Insektenwesen - erscheint so nicht so stark wie man vermuten könnte. So klar die Aussage eigentlich ist, lässt sich die Geschichte doch zu vielen Gesprächsanlässen nutzen: über Arbeitsbedingungen und Beruf, Miteinander, Teamgeist und Umgang mit anderen – oder auch konkret über den Umgang mit Insekten. Sie tun eine Menge Arbeit – im ökologischen Kreislauf sind sie das entscheidende Schwungrand. Und bekommen am Ende eins mit der Fliegfenklatsche oder eine Ladung Insektenspray. Hier im Buch, Zikade, bekommt nur einen Fußstritt als Verabschiedung.
Der Text dazu ist schlicht, durchaus passgenau zum Bild, aber insofern gewöhnungsbedürftig, weil der Ich-Erzähler die Zikade selbst ist. Und die redet in einer Art abgehackter, gebrochener Sprache: „Keine Arbeit. Kein Zuhause. Kein Geld. Zeit für Abschied. Tacktacktack. Zikade geht auf Hochhausdach.“
Und das macht Zikade auch. Aber wer Insekten und Zikaden kennt, ahnt, dass es auf dem Hochhausdach ein ziemlich gutes Ende geben wird. Denn dort trifft Zikade erstens ganz viele andere. Und dann warten sie gemeinsam auf das was passiert: Wie ihr Panzer platzt, die Flügel sich entfalten, das Wunder der Metamorphose aus den Krabblern Wunderwesen der Lüfte werden lässt.
Fazit
Insekten sind "in" und auch andere Arten als Biene Maja haben das Zeug zum Kinderbuchstar. DIe Zikade hier in diesem besonderen Buch ist eher ein Antiheld, die in unserer grauen Menschenwelt nicht viel Freude hat, Freunde schon gar nicht. Aber eines Nachts wird alles anders: er trifft Gleichgesinnte und etwas Wunderbares geschieht.
Shaun Tan, Renate Ahrens, Aladin
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