Die heilige Nacht

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonNov 2005

Idee

Mehr als nur von der Weihnachtsgeschichte erzählt Selma Lagerlöf und schafft auch durch den Verlust der Großmutter eine wenig festliche Stimmung.

Bilder

eigenwillige und anspruchsvolle Bilder, die eine überwiegend kalte Umgebung schaffen.

Text

aus der Ich-Form erzählt, erzeugt es eine sehr persönliche Nähe und Intensität

[ab 5 Jahren]

Geschichten von der heiligen Nacht gibt es bekanntlich viele, doch wohl wenige thematisieren an dessen Beginn den schmerzlichen Verlust einer geliebten Person. In diesem Fall den der Großmutter, dessen Tod der mittlerweile erwachsenen Enkelin noch immer nachhängt und in ihr vor allem die Erinnerung an eine ganz besondere Geschichtenerzählerin wachruft. Eine ihrer Geschichten wird auch uns zuteil - es ist die von Jesu Geburt.

Wir erfahren von dem Kummer des Mädchens, als sie sich im Alter von fünf Jahren mit der bitteren Realität konfrontiert sieht, dass die Großmutter gestorben ist. Besonders in Erinnerung geblieben ist sie durch die vielen Geschichten, die sie erzählt hat, während die Kinder still um sie herum saßen und gebannt zuhörten. Als die Großmutter stirbt, stirbt auch ein bedeutender Teil Kindheit:

";Ich erinnere mich, dass etwas aus dem Leben verschwunden war. Es war, als hätte sich die Tür zu einer ganzen schönen, verzauberten Welt geschlossen, in der wir früher frei aus und ein gehen durften. Und nun gab es niemand mehr, der sich darauf verstand, diese Tür zu öffnen.

Eine ganz besondere Erzählung hat die Enkelin in ihrem Herzen bewahrt, es ist die von Jesu Geburt. In ihr erzählt Großmutter von einem Mann, der auf der Suche nach Feuer für seine Frau und sein neu geborenes Kind einen Schafhirten entdeckt und sich Hilfe erhofft. Die Hirtenhunde versuchen den Mann zu vertreiben, greifen ihn sogar an. Doch seltsamerweise können die Hunde den Mann nicht verletzen. Die Schafe rühren sich nicht, als er über sie hinweg schreitet, um zum Schafhirten zu gelangen. Dieser ist mehr als misstrauisch und nicht bereit Hilfe zu gewähren. Stattdessen wirft er mit seinem Hirtenstab nach dem Mann, verfehlt aber sein Ziel.

Schließlich gestattet der Hirte dem Mann etwas von der restlichen Glut mitzunehmen. Er löst erneut Verwunderung aus, als er die Glut mit bloßen Händen in seinem Mantel verstaut, ohne dass Kleidung oder Haut Schaden davon tragen. Der Hirte verfolgt, ob so vieler seltsamer Begebenheiten den Mann zu dessen Frau und dem Kind. Dort muss er erkennen, in welch schwierigen Verhältnissen die Familie leben muss und erkennt die Not.

Der Schafhirte ist nun bereit zu helfen. Seine Warmherzigkeit öffnet ihm die Augen und er erkennt überall Engel, die mit lauter Stimme die Ankunft des Heilands besingen. Dem Hirten wird gewahr, welch bedeutendem Ereignis er beiwohnen darf. Dafür dankt er Gott.

Selma Lagerlöf beschreibt in ihrer Weihnachtsgeschichte nicht das Weihnachtsereignis an sich, sondern legt den Fokus auf eine eher elementare Botschaft. Der Wandel des Hirten vom ablehnenden, harten Menschen hin zum hilfsbereiten und erkennenden Mann, macht deutlich, dass es nur Güte und Herzlichkeit ermöglichen, zu sehen, was sonst verborgen bleiben würde. Selma Lagerlöf untermauert diese Botschaft mit leiser Kritik und betont religiösem Klang am Ende der Erzählung, wenn die Großmutter zur Enkelin sagt: ";Nicht auf Lichter und Lampen kommt es an, und es liegt nicht an Mond und Sonne, sondern was Not tut, ist, dass wir Augen haben, die Gottes Herrlichkeit sehen können.";

Die Weihnachtsgeschichte stammt aus dem Jahr 1904 und es liegt auch der Charme der vergangenen Zeit in dem Erzählstil der schwedischen Schriftstellerin, die von 1858 - 1904 gelebt hat. So bedarf es für jüngere Kinder einiger weniger Wortklärungen, denn von beispielsweise einem ";Weib"; hören wir heutzutage wohl eher seltener.

Die Geschichte als Erlebnisbericht, die Schilderung einer wahren Erinnerung, zudem aus der Ich-Form erzählt, erzeugt eine sehr persönliche Nähe und verstärkt sowohl die Bedeutung des Todes der Großmutter, als auch die Erzählung über Jesu Geburt. Es entstehen ein authentischer Bezug und der Eindruck von etwas sehr Besonderem. Mit einer leichten Erzählung zum Einstimmen auf das Weihnachtsfest darf weniger gerechnet werden, dafür ist eben auch das unglückliche Ereignis und die damit verbundene Trauer der Enkelin präsent, die übrigens nicht im persönlichen Glück aufgelöst wird.

Ilona Wikland liefert sehr eigenwillige Bilder zu der Erzählung für die sie zwei leicht unterschiedliche Bildsprachen benutzt, um verschiedene Handlungsebenen auch visuell zu trennen. Die Bilder von der ";erinnerten"; Jesus-Erzählung sind etwas unschärfer und mit schnellerem Strich gezeichnet. Sie wirken dadurch tatsächlich ein wenig wie Erinnerungsfragmente, die nicht mehr ganz ausgefüllt und klar sind, denen es dann zwar auch an gestalterischen Details mangelt, die aber eine sehr besondere Atmosphäre schaffen. Diese Welt ist in sehr dunkle Farbtöne, vorrangig blau, getaucht, bei denen dann das kräftige Lagerfeuer oder auch die roten Zungen der Hunde besonders zur Geltung kommen und auffällige Farbakzente setzen. Es entsteht insgesamt aber eine sehr kalte Umgebung, in denen die blassen Engel beinahe wie Geisterwesen wirken und sich deren festliche Fröhlichkeit nur schwer durchsetzen kann.

Die Illustrationen aus der direkt erlebten Welt der Enkelin, wenngleich sie ebenfalls Erinnerungen darstellen, sind in deutlich wärmeren und helleren Farben gehalten, die Konturen sind klarer und die Details zahlreicher. Kein Wunder, denn gerade die Erinnerungen an die Großmutter sind noch immer von so großer Bedeutung für die mittlerweile erwachsene Enkelin und entsprechend präsent. Auf einem Bild werfen wir einen Blick in die Küche, wo die Großmutter Geschichten erzählt und dabei gestrickt hat. Die Großmutter ist nicht mehr da, doch etwas Strickzeug liegt noch auf der Bank und ein Wollfaden führt von der Bank weg bis zum Wollknäuel, das auf dem Boden liegt. Die Enkelin schaut auf das Wollknäuel herunter und eine beinahe spürbare Verbindung von Großmutter und Enkelin entsteht.

Fazit:

In ";Die heilige Nacht"; spannt Selma Lagerlöf den Bogen vom Abschied bis zum Neubeginn des Lebens in einer für jüngere Kinder nicht ganz einfachen, etwas schwermütigen Erzählung, die weniger festliche, warme Stimmung erzeugt, sondern sich vor allem durch ihre persönliche Nähe und Intensität auszeichnet und dadurch einen ganz eigenen Anreiz schafft, sich mit der Weihnachtsgeschichte auseinanderzusetzen.

Stefanie Eckmann-Schmechta

Die heilige Nacht

Selma Lagerlöf, Oetinger

Die heilige Nacht

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