Die geheime Benedict-Gesellschaft

Die geheime Benedict-Gesellschaft
Die geheime Benedict-Gesellschaft
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Kinderbuch Couch
89%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonNov 2007

Idee

vier starke, sehr unterschiedliche Kinder bestimmen den Lauf der Verschwörungsgeschichte, sie müssen zusammenhalten und sich aufeinander verlassen können

Bilder

Carson Ellis Illustrationen am Beginn der Kapitel sind mal ironisch überzeichnet, aber immer gefühlvoll, wenn es um die Hauptfiguren geht

Text

literarisch überzeugende Geschichte in leichtem Tonfall geschrieben

";Ihr seid doch nur Kinder!" schreit Ledroptha Curtain und kann nicht fassen, dass sein ausgeklügeltes Lebensprojekt von Reynie, Kleber, Kate und Constance zerstört werden wird. Kinder sind für den verkappten Dr. Seltsam nur willenlose Botschafter für seine fiesen Machenschaften. Doch die vier Freunde werden mit ihren unterschiedlichen Stärken dem unverbesserlichen Weltverstörer zeigen, dass man Kinder mit Köpfchen nicht unterschätzen sollte.

Reynard Muldoon, 11 Jahre alt, ist ein überaus vernünftiger Junge, ein geistiger Überflieger und, wie viele Hochbegabte, ein Außenseiter. Im Waisenhaus tauscht Reynie seine neuesten Erkenntnisse mit seiner Tutorin in Tamilisch aus. Er langweilt sich bis ihn endlich eine ungewöhnliche Prüfung aus der Reserve lockt. Auch Kleber Washington, eigentlich George Washington (schon der Name beinhaltet eine Erwartung, die nicht zu erfüllen ist), ist Prüfungsteilnehmer und Schnellleser. Alles was sein fotografisches Auge erfasst, bleibt in seinem Gedächtnis kleben. Der ängstliche Kleber, immer nach Anerkennung heischend, ist ebenfalls ein ungewöhnliches Kind und ein Ausreißer, denn seine Eltern haben aus seiner Begabung Kapital schlagen wollen und ihn enorm unter Druck gesetzt. Die dritte Prüfungskandidatin ist Kate Wetherall. Sie wurde früh von ihren Eltern verlassen. Kate ist ein lebenstüchtiges, fröhliches und vor allem praktisches Mädchen, das immer einen Eimer mit ihren persönlich wichtigen Dinge dabei hat. Im Zirkus hat sie eine ganze Reihe Kunststücke gelernt und schlägt sich mit ihrer erfrischenden Unerschrockenheit tapfer durchs Leben. Alle drei Kinder lösen die ungewöhnlichen Prüfungsaufgaben auf ihre Weise. Und dann ist da noch Constance Contraire, eine offenbar kleinwüchsige Nervensäge, die nur direkte, ungeschminkte Antworten gibt, ziemlich patzig sein kann und vor allem durch ihre sture Unabhängigkeit die anderen Kinder zum Wahnsinn treibt. Alle vier Kinder sind, jedes auf seine Art, begabt und gleichzeitig einsam.

Das sind dann auch die ausschlaggebenden Kriterien um die Kinder für Mr Benedict, den Initiator der Prüfungen und Wissenschaftler aus Holland, interessant zu machen, denn die vier sind mit ihren Fähigkeiten die letzte und einzige Hoffnung des eigenwilligen, freundlichen Mannes. Mr Benedict scheint wohlhabend zu sein, leidet an Narkolepsie, die ihn immer wieder kurzzeitig einschlafen lässt. Bei seinen Erforschungen des menschlichen Gehirns ist er auf seltsame Botschaften gestoßen, die an Menschen auf der ganzen Welt gesendet werden. Allerdings wissen die Empfänger nichts davon. Die Nachrichten gehen sozusagen anonym direkt ins Gehirn. Mr Benedict hat nun den Sender gefunden, der seine Nachrichten mit Hilfe von Kindern verbreitet. Über die Fernsehprogramme gelangen sie übersetzt in verschiedene Sprachen zu den Menschen, die nichts ahnen. Kinder sind die Botschafter, die ja sowieso niemand ernst nimmt. Die Botschaften besagen, dass sich etwas Schreckliches nähert, eine drohende Finsternis. Mr Benedicts bisherige Bedenken stießen bis dahin in den verschiedenen Behörden auf Unverständnis und wenn mal jemand aufmerksam wurde, verschwand diese Person auf unerklärliche Weise.

Die vier Kinder sollen sich nun ins Lerninstitut für die besonders Erleuchteten, das auf einer Insel unweit ihres Küstenstädtchens Stonetown liegt, anmelden, denn von dort her scheinen die Signale zu kommen. Als Geheimagenten müssen sie binnen kürzester Zeit herausfinden, was es mit diesen Botschaften auf sich hat und welche Bedrohung naht. Reynie, Kleber und Kate mögen sich von Anfang an, nur die widerspenstige Constance geht allen auf den Wecker. Reynie schafft es mit seinem diplomatischen Geschick die Kinder zusammenzubringen, denn auch Mr Benedict ist der Meinung, dass Constance ein schwieriges, aber wertvolles Mitglied der kleinen Gemeinschaft ist. Er wird Recht behalten. Das Institut liegt auf der Insel Nomansan. Per Morsezeichen halten die Geheimagenten Kontakt zu Mr Benedict. Die vier nennen sich die geheime Benedict-Gesellschaft und stürzen sich ins Abenteuer.

Im Institut erwarten die Kinder dann unfreundliche, rigide Manager, die die Kinder unterkühlt und mies gelaunt in die Regeln des Internats einführen. Im Unterricht müssen unsinnige Dinge auswendig gelernt werden und höchstes Ziel aller Schüler ist es, Botschafter mit geheimen Privilegien zu werden. Die Botschafter können dann zu Managern aufsteigen. In den Zimmern laufen in der Freizeit die Fernseher und es darf Sport getrieben werden. Die Kinder werden in den Unterrichtsstunden mit elend langen unverständlichen Texten überhäuft, zu äußerstem Strebertum angehalten und zu unkollegialem Verhalten und Konkurrenzdenken ermutigt. Für die vier ist die Schule ein Schock, denn auf dem Gelände der Insel lauern Fallen und der Rektor und Gründer der Schule, Mr Curtain, sieht genauso aus wie Mr Benedict, allerdings sitzt er im Rollstuhl. Die vier Geheimagenten erkennen schnell, dass auf der Insel auch Kinder sind, die gegen ihren Willen festgehalten werden und einer Gehirnwäsche unterzogen wurden. Reynie und die anderen wissen, sie haben nur eine Chance hinter die Geheimnisse zu gelangen, wenn sie selbst Botschafter werden. Constance schläft ständig ein, hat miese Laune und ist völlig überfordert. Mit Erschrecken erkennen die Kinder, dass Constance die unsinnigen Botschaften als einziger Mensch direkt wahrnimmt.

Als die Mitteilungsstärke erhöht wird, wirkt sich das negativ auf die allgemeine Stimmung aus. Sie müssen, um schneller in die Reihen der Botschafter aufgenommen zu werden, betrügen. Zumal Kate und Constance sich die unsinnigen Verse nicht merken können. Kleber und Reynie haben keine Probleme mit dem Schulstoff. So verringert sich die Distanz der beiden Jungen zum seltsamen Mr Curtain, der Tagebuch schreibt. Sie kundschaften aus, dass Curtain eine Gezeitenturbine erfunden hat und somit seinen Flüsterer in Gang setzen kann, der durch einen komplizierten Mechanismus mit seinem Gehirn verbunden ist. Die Botschaften werden durch das Gehirn der Kinder in den Äther übertragen. Der Flüsterer benötigt die Hilfe unkomplizierter Köpfe, das Bewusstsein der Kinder. Kurzum: Mr Curtain will mit seiner bahnbrechenden Erfindung, die Gedanken der Menschen auf der ganzen Welt kontrollieren.

Die Kinder schmieden einen Plan wie sie den Flüsterer abschalten können. Die Kinder haben in ihren zahlreichen Aktionen, die an dieser Stelle nicht alle aufgeführt werden können, viel Glück und entwischen geschickt ihren Widersachern, besonders der ehrgeizigen Martina Crowe.

Der große Showdown beginnt, denn nach über 500 Seiten muss die Spionageaktion endlich zu einem Erfolg führen. Den haben die vier Kinder auch, denn sie gelangen hinter das Geheimnis des Mr Curtain und können dessen Pläne vereiteln.

Am Ende stellt sich heraus, dass Constance ihren dritten Geburtstag feiert und mit ihrer eigensinnigen Sturheit alle aus der Patsche zieht. Die Kinder vergeben ihrem kleinsten Mitglied und verstehen plötzlich ihr seltsames Verhalten. Kate findet ihren Vater wieder, Klebers Eltern suchen den Kontakt zu ihrem Sohn, Constance bleibt bei Mr Benedict und Reynie freut sich auf seine Tutorin, die er am liebsten Mum nennen würde. Ein Happy End ist in Sicht, auch wenn Mr Curtain die Flucht gelingt. Das Böse bleibt in der Welt. Das ist zumindest eine reale Botschaft in diesem doch sehr verstörenden, fantasiereichen Buch.

Trenton Lee Stewarts Debütroman spielt mit dem Genre des modernen Agententhrillers. Er entwirft ein geschickt konstruiertes Untergangsszenario, in dem alles irgendwie vage bleibt. Die faszinierende Möglichkeit, die Gehirne der Menschen weltweit zu manipulieren, hat bereits andere Autoren inspiriert. Bei Trenton allerdings sollen die Erinnerungen unter den Teppich gekehrt werden, das Gehirn sozusagen ";gefegt" werden, um den freien Willen zu unterdrücken. Eins erspart uns der amerikanische Autor, was ansonsten in Büchern dieses Genres genüsslich ausgeweitet wird und das sind ausufernde technische Details. Mr Curtain geht es angeblich um das Leben - Live. Liest man es rückwärts, offenbart sich Curtains wahres Gesicht - Evil. Ein trauriges Kapitel innerhalb der Geschichte sind die auf Erfolg getrimmten Internatsschüler. Sie hecheln jeglicher Anerkennung hinterher, nur um in den Genuss der Privilegien zu gelangen. Eigenständiges Denken oder Emotionen sind für sie schon lange kein Thema mehr.

Die Leser können gemeinsam mit den vier sehr unterschiedlichen Hauptfiguren bangen, aber auch kombinieren, die Codes knacken, Rätsel lösen, falsche Fährten erkennen und vor allem die Daumen drücken. Es steht dem Leser frei, sich mit den Mädchen oder Jungen zu identifizieren und ihnen zur Seite zu stehen. Reynie ist der Anführer der Verschwörertruppe und muss ofmals vermittelnd eingreifen. Aus seiner Sicht wird die spannende Geschichte erzählt. Die Figuren, Kinder wie Erwachsene, in Trenton Lee Stewarts Roman sind vielschichtig und lassen sich nicht in Schablonen einordnen. Kleber ist dabei eine sehr konfliktbeladene, ambivalente Figur. Aus Angst vor seinen eigenen Schwächen und Unsicherheiten besteht immer die Gefahr, dass er auf die Seite des Teufels kippen könnte. Er wird am tiefsten gedemütigt und kann nur durch Reynies empfindsames Verhalten seine Würde bewahren und die richtigen Entscheidungen treffen. Auch Trenton Lee Stewart vermittelt mit seiner Geschichte über Ängste, Einsamkeit, Freundschaft, Zusammenhalt und gemeinsame Aktionen eindeutige Botschaften, die allerdings wie ganz nebenbei vermittelt werden. Ängste können überwunden werden, wenn man den Mut hat sich ihnen zu stellen. Kein Erwachsener hat das Recht Kinder für dumm zu erklären und der freie Wille siegt über unsinnige Regeln. Laut Verlagsreklame ist der amerikanische Autor, der mit seiner Familie in Arkansas lebt, davon überzeugt, dass Kinder zwar oft gesehen, selten gehört, aber vor allem unterschätzt werden. Wenn Kinder nein sagen, dann meinen sie es auch. Constance tritt den Beweis an und es funktioniert.

Fazit:

Trenton Lee Stewarts umfangreicher Roman ist ein Lesevergnügen für Mädchen wie Jungen, die sich nicht vor dicken Büchern fürchten. Einmal begonnen, zieht die actionreiche, handlungsstarke Geschichte, die so spannend ist wie ein Krimi, jeden in den Bann.

Karin Hahn


Die geheime Benedict-Gesellschaft

Trenton Lee Stewart, Bloomsbury

Die geheime Benedict-Gesellschaft

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