Alles Lüge

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Kinderbuch Couch
86%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonMai 2007

Idee

Eine starke Identifikationsfigur, die auch unvollkommen sein darf. Eine spannende Erzählung, die enfühlsam die Gefühlsregungen aller Beteiligten einfängt und dazu nur wenige Effekte benötigt.

Text

Sehr dicht und authentisch lässt uns Heidi Linde die Veränderungen in Annikas kleiner Welt miterleben. Ganz aus der Perspektive Annikas erzählt, können sich Leserinnen ganz in die Geschichte versenken. Annika wird in ihrer Betrachtungsweise beeindruckend

Alles zu schön, um wahr zu sein: Mamas neuer, wohlhabender Freund, sein Landsitz am Meer und seine makellose Tochter. Annikas Mutter steht enorm unter Druck, ebenso vollkommen zu sein wie das neue Glück. ";Alles Lüge" erzählt von den großen und den kleinen Lügen, die den Schein wahren oder aber die Fassaden bröckeln lassen sollen - aber eines niemals erreichen: Vertrauen.

Annikas Mutter, Brita, ist nicht mehr wiederzuerkennen: Sie kleidet sich spießig, raucht nur noch heimlich und ist furchtbar nervös und gekünstelt. Letzteres nervt Annika am allermeisten, denn die Natürlichkeit und Ehrlichkeit ihrer Mutter hat ihr immer am besten gefallen. Seit Fredrik, Britas neuer Freund, in ihr gemeinsames Leben getreten ist, ist einfach nichts mehr wie sonst. So machen sie in diesem Jahr keinen Urlaub mehr zu zweit in einem klapprigen Wohnwagen, sondern fahren zusammen mit Fredrik und seiner Tochter Erle an die See - in sein Sommerhäuschen, das sich aber eher als Sommersitz der Familie entpuppt.

Mutter und Tochter sind schwer beeindruckt und gleichzeitig verunsichert von dem plötzlichen Luxus. Als Brita ihre ";bockige" Tochter anzischt, ihr das ja nicht kapputt zu machen, erkennt Annika den Ernst der Lage und gleichzeitig, dass sie auf verlorenem Posten steht. Ein paar Wochen mit dem peinlichen Liebespaar wären noch erträglich für Annika gewesen, aber die Tatsache, dass sie mit der überaus perfekten Tochter Fredriks ein Zimmer teilen muss, macht ihr schwer zu schaffen. Erle ist alles, was Annika nicht ist: Sie ist braungebrannt, hat eine lange blonde Mähne und trägt immer die schicksten und neuesten Klamotten. Annika findet sie arrogant, verwöhnt und oberflächlich. Doch da sie fremd ist und ihre Mutter vollauf damit beschäftigt ist, eine vorbildliche Hausherrin zu sein, versucht Annika trotzdem, Kontakt zu dem abweisenden Mädchen aufzunehmen. Dies scheint sogar zunächst zu gelingen. Doch kaum ist die selbstverliebte Erle wieder unter Gleichgesinnten, will sie von Annika nichts mehr wissen. Sie demütigt die zwei Jahre jüngere Annika bis aufs Äusserste, so dass Annika, die ";dank" Erle auch keinen Zuspruch von ihrer Mutter erfährt, nach Rache sinnt. Und einen Plan hat sie auch schon: Sie hat nämlich in Erles Tagebuch gelesen, dass diese wiederum in Annikas Tagebuch gelesen hat. Diesen Weg nutzt sie von nun an auf ziemlich perfide Weise, um das Verhalten von Erle zu manipulieren.

Am Anfang scheint alles nach Plan zu verlaufen : Erle ist sehr fies zu Annikas Mutter, Mutter und Fredrik scheinen kaum noch miteinander zu reden und Annika glaubt, allen Anlass zur Hoffnung zu haben, bald wieder mit ihrer Mutter nach Hause fahren zu können, um dann doch noch mit dem klapperigen Wohnwagen in den Urlaub fahren zu können. Doch dann kippt die gesamte Situation. Fredrik benimmt sich sehr eigenartig und flüchtet sich in eigene Lügengespinste, Brita, Annikas Mutter, wirkt mehr und mehr niedergeschlagen und resigniert vor der ungeklärten Situation und auch Erle zeigt immer mehr ihre Verunsicherung, wie auch ihren Kummer. Am Ende spitzt sich die Situation so zu, dass Annikas Verdächtigungen und Manipulationen offen angesprochen werden müssen und schließlich von allen Beteiligten dargelegt wird, was wirklich im Hintergrund ablief, von dem aber keiner dem anderen erzählen wollte. Dies schafft eine ganz neue Ausgangsbasis und die Erkenntnis beider Mädchen, dass sie und ihre Eltern doch ganz gut zusammen passen.

Schon das Cover stimmt perfekt auf den sommerlichen Mädchenroman von Heidi Linde ein: Die Illustration von Anke Kuhl zeigt eine Strandkulisse mit zwei Mädchen, die verschiedener nicht sein könnten. Noch dazu sagt ihre Körpersprache alles. Sehr dicht und authentisch lässt uns Heidi Linde die Veränderungen in Annikas kleiner Welt miterleben. Sie sehnt sich so sehr nach dem ";Früher", dass sie Fredrik, den neuen Freund ihrer Mutter, in Gedanken nur die ";Veränderung" nennt. Neben dessen Tochter findet Annika auch keinen Platz, sondern nur das Gefühl, nicht ";richtig" zu sein. Doch vor allem trifft sie der Verrat ihrer Mutter besonders hart. Inmitten dieser vielen glatten ";Fassaden" verliert Annika ihren Halt, rutscht ab, fühlt sich alleingelassen und sie zieht sich am Ende ganz zurück. Doch anstatt Annika einfach in Ruhe zu lassen, macht Erle sie zum Spielball ihrer Launen.

Obwohl wir Annikas Verhalten verwerflich finden, verstehen wir ihre verzweifelte Wut und ihren Wunsch nach Rache. Bei ihrem intriganten Spiel schreibt Annika für Erle in ihr Tagebuch, dass ihre Mutter es nur auf Fredriks Geld abgesehen habe, erfindet, dass der große Schwarm Erles eine andere Freundin hat und als Erle dann allzu garstig zu Annikas Mutter wird, erfindet Annika kurzerhand, dass die arme Brita einen Hirntumor habe und bald sterben werde, damit Erle wieder nett zu ihr ist. Als wenn das noch nicht genug wäre, begleitet sie das alles noch mit allerlei wohlbedachten Fehlinformationen, die noch mehr Unfrieden und falsche Verdächtigungen stiften. Eine spannende Entwicklung, die sich gegen Ende mehr und mehr zuspitzt.

Heidi Linde, die norwegische Autorin, benötigt nur wenige Effekte, um die beinahe knisternde Spannung in diesem Beziehungsgeflecht heraufzubeschwören. Sehr lebendig und einfühlsam beschreibt sie die Gefühlsregungen ihrer Darsteller, das Spiel der Reaktionen und Emotionen. Dabei erschafft sie besonders in Annika eine sympathische und in ihrem Kummer hin- und hergerissene Hauptfigur. Doch auch die ";lästigen" Randfiguren, wie die oberflächliche und über alle Massen selbstverliebte Mutter Erles, finden hier ihren durchaus unterhaltsamen Platz. Ganz aus der Perspektive Annikas erzählt, können sich junge Leserinnen ganz in die Geschichte versenken. Annika ist in ihrer Betrachtungsweise beeindruckend und eine entsprechend gelungene Identifikationsfigur, da sie ";unvollkommen" sein darf und dennoch stark ist.

Fazit:

";Alles Lüge" ist auf jeden Fall genau die richtige Urlaubslektüre für Mädchen. Es ist aber auch auf intelligente Weise packend, wie es amüsant und unterhaltsam ist. Da es trotz seiner Leichtigkeit etwas zu sagen hat, wird es sicherlich auch über den Sommer hinaus in der Gunst seiner Leserinnen ganz oben stehen.

Stefanie Eckmann-Schmechta


Alles Lüge

Heidi Linde, Dressler

Alles Lüge

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