Wie ein Foto unser Leben rettete

  • Insel
  • Erschienen: April 2025
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übersetzt von Gundula Schiffer; Illustrationen von Isabel Kreitz; Hardcover, 123 Seiten

ISBN: 9783458644934

Wie ein Foto unser Leben rettete
Wie ein Foto unser Leben rettete
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Theresa Mürmann
95%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonMai 2025

Idee

Dieses Buch schafft es nicht nur, die grausame Zeit der Judenverfolgung durch die Nazis kindgerecht aufzuarbeiten. Darüber hinaus spendet es ungemein viel Hoff-nung und Zuversicht - damals wie heute.

Bilder

Sowohl an den Fotos als auch den comicartigen Illustrationen bleibt man immer wieder hängen. Die Geschichte wird durch sie sehr viel greifbarer: So ist es wirklich passiert.

Text

Die Ich-Perspektive trifft die kindliche Perspektive haargenau. Häufig hat man das Gefühl, Gavra würde direkt neben einem sitzen und seine Geschichte selbst erzäh-len.

Ein Wunder inmitten der grausamen Realität

Gavra Mandil ist erst fünf Jahre alt, als er mit seinen Eltern und der kleinen Schwester Beba während des Zweiten Weltkriegs die Heimat Jugoslawien verlassen muss. Bei einem Besuch seiner Oma Beschka in Belgrad werden sie Zeugen eines heftigen Bombardements. Zwar bleiben sie unverletzt, doch die Erkenntnis, dass die Lage für sie als Juden in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten immer schwieriger werden wird, ist nicht mehr zu leugnen. Es ist der Beginn einer jahrelangen Flucht, während der der kleine Gavra erkennt: Nirgendwo kann sich seine Familie wirklich sicher fühlen. Nach einem langen Aufenthalt im Gefängnis von Pristina dürfen Gavra, Beba und seine Eltern schließlich nach Albanien weiterfahren. Dieses Land ist ihre Rettung.

In Albanien gilt der Ehrenkodex „Besa“: Egal wie gefährlich eine Situation auch sein möge, der Schutz eines Gastes steht für jede Albanerin und jeden Albaner an erster Stelle. Auch wenn dies das eigene Leben gefährden würde. Nach einigen Stationen in verschiedenen Städten des Landes, werden die Mandils schließlich von der liebenswürdigen und fürsorglichen Familie Veseli aufgenommen. Auch dieser Bauernhof im ländlichen Kruja ist nicht sicher vor den deutschen Soldaten. Kein Tag vergeht ohne die Angst und Sorge davor, entdeckt zu werden. Gleichzeitig verspüren Gavra und seine Familie während der Zeit bei den Veselis so viel Menschlichkeit, Güte und Hoffnung, die ihnen jeden Tag aufs neue Kraft verleihen.

„Die ganze Nacht bemühte ich mich, das zu tun, was Vater mir gesagt hatte. Ich hielt Bebas Hand fest und ließ sie nicht einen einzigen Moment allein.“

Dieses Kinderbuch der israelischen Autorin Maya C. Klinger erzählt eine wahre Geschichte. Gavra Mandil ist 2006 gestorben, doch zusammen mit der Hilfe seiner Familie hat Klinger Erzählungen und Fotos zu einem sehr besonderen und berührenden Kinderbuch zusammengetragen. Der Fokus liegt mit der Rettung jüdischer Menschen in Albanien auf einem geographisch gesehen eher wenig beachteten historischen Thema. Der biographische Stil des Buches aus der Sicht eines Kindes bietet jungen Leserinnen und Lesern einen ersten Einstieg in die Beschäftigung mit dem Holocaust, dem Nationalsozialismus sowie dem Zweiten Weltkrieg.

Die Frage, für welches Alter dieses Buch gedacht ist, kann meines Erachtens nicht allgemeingültig beantwortet werden. Grundsätzlich richtet sich die Geschichte an Kinder im Grundschulalter und dies ist auch absolut stimmig. Ob nun ab acht, neun oder zehn Jahren - da sind die Eltern gefragt. Denn eine Begleitung der Lektüre ist trotz der kindgerechten Sprache und sensiblen Herangehensweise in jedem Fall sinnvoll, um aufkommende Fragen und Gedanken miteinander zu besprechen.

„‚Von jetzt an, mein Kind‘, antwortete Vater, ‚wirst du nur einen einzigen Namen haben. Von heute an bist du wieder Gavra. Gavra Mandil.’“

Gavras Erzählung steht für unzählige verlorene Kindheiten dieser Zeit. Es ist erschreckend zu lesen, wie bereits die Kleinsten mit so viel Angst und Leid konfrontiert wurden. Alles Kindliche, die Neugier und das Unbeschwerte mussten unterdrückt werden, um zu überleben. Für Gavra und seine Schwester Beba fängt dies bereits mit dem Ablegen der eigenen Identität an. Nichts darf darauf hindeuten, dass sie Juden sind. Bei der Flucht aus Belgrad wird Gavra eingeschärft, dass er ab sofort Christ ist und mit Nachnamen Mandić heißt. Mit der Ankunft in Albanien wird aus „Gavra“ plötzlich „Ibrahim“. Fortan ist er Muslim. Wie verwirrend und verstörend dies für ihn gewesen sein muss, lässt sich nur erahnen. Es ist geradezu beruhigend und hoffnungspendend, dass zwischendurch immer wieder die Freude am Spiel, aufregende Erlebnisse, wie das erste Mal Eisenbahn fahren, und neue Freundschaften mit anderen Kindern für unbeschwerte Momente sorgen.

Es gleicht fast einem Wunder, dass die ganze Familie Mandil den deutschen Soldaten immer wieder entkommt. Das wäre vermutlich nicht ohne den Beruf von Gavras Vater möglich gewesen. Als Fotograf in zweiter Generation ist Mosche Mandil in der Gesellschaft sehr angesehen. Sein Vater, Gavras Großvater, hatte sogar den jugoslawischen König Alexander I. fotografiert. Nicht nur einmal rettet die Fotografie ihr Leben. So kann letztlich ein Foto von Gavra und Beba neben dem Weihnachtsbaum, das Mosche als Ausstellungsstück in seinem Schaufenster hatte, einen deutschen Soldaten davon überzeugen, dass sie keine Juden sind. Im Gefängnis in Pristina sind die italienischen Soldaten so begeistert von seinen Fotografien, dass sie bei der Weiterfahrt nach Albanien helfen. So viele Fotos aus dieser Zeit haben ihren Weg in das Buch gefunden und überbrücken die Distanz zum Geschehenen. Vor allem Kinder werden merken: Das alles ist wirklich passiert. Ergänzt werden die Originalaufnahmen durch atmosphärische Zeichnungen im Comicstil von der Illustratorin Isabel Kreitz.

Gavras Familie hat in so vielen Situationen großes Glück: Manchmal ist es ein Foto, manchmal ein Wimpernschlag oder die passende Stimmlage. Augenblicke entscheiden über Leben und Tod. Es gleicht fast einem Wunder, dass die Mandils am Ende des Krieges alle wieder zueinanderfinden. Möglich war dies nur durch den unerschütterlichen Mut der Familie Veseli in Albanien. Noch heute sind beide Familien im Kontakt.

Fazit

Diese kindliche Sicht auf das Unbegreifliche berührt, macht sprachlos und erschüttert. Für alle jungen Leserinnen und Leser, die sich erstmals mit dem Thema auseinandersetzen bietet die Lektüre einen feinfühligen Einstieg. Aber auch für Erwachsene kann eine klare Leseempfehlung ausgesprochen werden.

Wie ein Foto unser Leben rettete

Maya C. Klinger, Insel

Wie ein Foto unser Leben rettete

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