Kinder von fern

  • Carlsen
  • Erschienen: Juni 2025
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übersetzt von Andrea Kluitmann; Illustrationen von Elena Cavion; Hardcover, 160 Seiten

ISBN: 9783551559517

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Theresa Mürmann
92%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonAug 2025

Idee

Unzählige Kinder sind Tag für Tag auf der Flucht. Viel zu selten denken wir darüber nach, dass sie dieselben Träume, Wünsche und Hoffnungen haben, wie so viele Kinder auf dieser Welt. Ein Glück, dass uns dieses berührende Buch daran erinnert.

Bilder

Einfühlsame und atmosphärische Illustrationen fangen die Momente der Verzweiflung und Freude gleichermaßen ein.

Text

Kinder erzählen Geschichten für Kinder: Jede einzelne Kurzgeschichte nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise. Der Schreibstil ist zielgruppengerecht, die Inhalte sind sensibel, aber klar aufbereitet.

Ein wichtiges Buch, das so vielen Kindern auf dieser Welt ein Gesicht gibt

Samuels größte Leidenschaft ist das Fußballspielen. Er liebt es, mit den anderen Kindern auf der Straße zu kicken, vor allem wenn sein Opa der Torwart ist. Doch als in Syrien der Krieg ausbricht, ist es damit vorbei. Als Christen sind sie dort nicht mehr sicher. Zusammen mit seiner Mama und seinen Geschwistern hoffen sie auf eine bessere Zukunft anderswo. Doch es liegt ein langer, beschwerlicher und vor allem gefährlicher Weg vor ihnen.

Fatima wohnt mit ihrer Familie ebenfalls in Syrien, doch dann wird ihr Haus von der Bombe getroffen und sie leben fortan in einem großen Flüchtlingslager. Einzig Omas mit Rosen verzierter Schal gibt Fatima Hoffnung auf ein bunteres Leben. Für ihre Eltern ist klar: Sie müssen weg aus dem Lager. Doch nicht überall sind sie willkommen, werden immer wieder weggeschickt. Letztlich muss sich die Familie auf der Flucht trennen, da Fatimas Schwester Aisha krank wird. Ein dunkler, stickiger Transporter soll Fatima, ihren Bruder Murat und ihren Papa schließlich in die Niederlande bringen. Die Hoffnung auf ein schnelles Wiedersehen mit ihrer Mama und Aisha schwindet jedoch schnell.

Für Azads Familie sollte es eigentlich eine fröhliche Zeit werden, denn seine Schwester Shirin hat geheiratet. Doch dann stehen plötzlich die Taliban vor der Tür und nehmen seinen Papa mit. Tage des Hoffens und Bangens folgen. Azads Papa kommt wieder, allerdings nur für kurze Zeit. Dann wird er wieder verschleppt, diesmal für immer. Azad und sein Bruder Walid sollen sich auf den Weg nach Europa machen und sich bei ihrem Onkel in Sicherheit bringen. Zwei Jungen alleine unterwegs, über Monate und Jahre. Auf einem Boot, das zu sinken droht, und mit Passagieren, die nicht schwimmen können.

Da Tamars Papa als Dolmetscher für die niederländische Armee gearbeitet hat, ist auch ihre Familie in Afghanistan nicht mehr sicher. Ihr Flucht führt sie durch die Kanalisation unter der Stadt. Sie müssen schnell zum Flughafen, um auszureisen. Werden sie es noch rechtzeitig schaffen?

„Es sind die Stimmen der Geflüchteten, die unterwegs zur Grenze von Europa sind, genau wie sie. Früher wusste Fatima nicht, dass es so viele Menschen gab, die nur nachts leben.“

Die niederländische Autorin Martine Letterie setzt sich in vielen ihrer Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zumeist mit historischen Themen rund um den Zweiten Weltkrieg sowie den Nationalsozialismus auseinander. Ihr Kinderbuch „Kinder mit Stern“ wurde 2017 mit dem „Goldenen Griffel“, dem wichtigsten niederländischen Preis für Jugendliteratur ausgezeichnet. In ihrem neuesten Buch „Kinder von fern“ beschäftigt sich die Autorin mit dem Thema Flucht und Vertreibung aus kindlicher Perspektive.

Die Geschichten der vier Hauptfiguren Samuel, Fatima, Tamar und Azad sind aus persönlichen Interviews mit geflüchteten Schülerinnen und Schülern sowie aus Postzusendungen, Erfahrungsberichten aus der Zeitung sowie dem Fernsehen entstanden. Sie stehen also exemplarisch für so viele Kinder dieser Welt, die vor Krieg und Gewalt in ihren Heimatländern flüchten müssen.

Die Struktur des Textes lässt sich auch durch das Inhaltsverzeichnis gut nachvollziehen. In vier größeren Kapiteln erzählen Samuel, Fatima, Azad und Tamar von der Zeit vor und während ihrer Flucht. Sie kennen einander nicht, kommen aus unterschiedlichen Ländern und Regionen. Doch eines ist das verbindende Element: Sie sind zuhause nicht mehr sicher und müssen gehen. Die Ankunft in den Niederlanden macht Hoffnung, doch ist der Weg auch hier noch steinig und mit vielen Hürden verbunden. Am Ende des Buches treffen die vier in einer niederländischen Flüchtlingsklasse aufeinander.

Über das Gelesene reden

Je nach Alter und Wissensstand des Kindes empfiehlt es sich, das Buch gemeinsam zu lesen oder sich zumindest im Anschluss darüber austauschen. Denn es gibt sehr viele Momente zum kurzen Innehalten und Anlässe, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. Da ist Samuels Bruder David, für den die Flucht aus Syrien aufgrund seiner körperlichen und geistigen Behinderung zu einer enormen Belastung wird. Unter größten Anstrengungen seiner Familie schaffen sie alle es am Ende auf das Boot nach Europa. Ein anderes Beispiel: Wie muss es für Fatima und ihre erst sieben Jahre alte größere Schwester Aisha sein, als sie nachts alleine in der Wohnung bleiben und draußen die Bomben einschlagen? Insbesondere die Szene, in der Azads Papa beim gemeinsamen Abendessen von der Taliban verschleppt wird, bedarf einer sensiblen Begleitung.

Die atmosphärischen Zeichnungen von Elena Cavion schaffen Räume zum Verweilen. Augenblicke der Angst und Verzweiflung, aber auch fröhliche Szenen finden ihren Platz. Durch das Zusammenspiel aus Mimiken, Gestiken und Farben werden die Gefühle der Figuren überzeugend zum Ausdruck gebracht.

Zu jeder Zeit werden die belastenden Inhalte zielgruppengerecht aufgearbeitet. Es ist ein stets kindlicher Blick auf das Geschehen, in dem Gefühle, Gedanken und Wünsche ihren Raum finden: Ein Kuscheltier, das Trost spendet, eine liebevolle Umarmung der Eltern oder Streitigkeiten zwischen den Geschwistern.

Gerade weil die Erzählungen so viele Themen und Aspekte der Flucht aufgreifen, eignet sich das Kinderbuch auch als Schullektüre. Denn in den meisten Schulklassen gibt es Kinder, die genau das erlebt haben: Krieg und Vertreibung. Die Geschichten vermitteln Verständnis füreinander, Mitgefühl und gleichzeitig Hoffnung auf eine Zukunft, in der Kinderträume wahr werden dürfen. Leider gibt es viel zu viele Kinder auf dieser Welt, die durch ihre Fluchterfahrungen viel zu schnell erwachsen werden müssen.

Fazit

In diesem Buch kommen diejenigen zu Wort, die mit ihrer Geschichte, ihren Ängsten und Sorgen oftmals übersehen werden. Ein starkes Plädoyer für ein menschliches Miteinander.

Kinder von fern

Martine Letterie, Carlsen

Kinder von fern

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