Kira-Kira

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Kinderbuch Couch
91%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonDez 2007

Idee

lebensnahe Charaktere, die als Sympathieträger überzeugen, eine realistische Geschichte aus den 50er Jahren, die in den USA spielt

Text

literarisch anspruchsvolle Sprache, gelungene Übersetzung

[ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*] ";Kira-Kira" heißt auf Japanisch funkelnd. Doch im Leben der Familie Takeshima fehlen die Glanzpunkte. Aber einen Lichtblick gibt es doch: die tiefe, innige Verbundenheit zwischen den Schwestern Lynn und Katie.

Lynn und ihre vier Jahre jüngere Schwester Katie sind unzertrennlich. Lynn bringt ihrer Schwester dann auch das erste Wort bei: Kira-Kira. Die beiden Mädchen beschreiben mit diesem gemeinsamen Wort alles, was sie gern haben. Die Handlung spielt in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Familie Takeshima lebt aber nicht in Japan, sondern in den USA. Die Eltern sind Kibei, das bedeutet, dass sie zwar in den USA geboren, zur Erziehung aber nach Japan geschickt wurden. Da in Iowa kaum Asiaten leben, geben die Eltern ihren kleinen Lebensmittelladen auf und ziehen in den Süden nach Chesterfield, Georgia, um in der Geflügelzuchtfabrik zu arbeiten. Dort wohnt auch der laute, liebenswerte Onkel Katsuhisa, der es, auch wenn seine Lebensträume nicht erfüllen konnte, bereits zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat. Die Hoffnung auf ein besseres Leben schmiedet Familie Takeshima, den nachdenklichen Vater, die vorsichtige Mutter und die lebensfrohen Mädchen zusammen. Aus Katies Sicht wird die Geschichte, die sich über Jahre zieht, in Zeitraffern erzählt.

";Lynn war das mutigste Mädchen der Welt.... Immer sagte sie, sie würde mir alles auf der Welt beibringen, was ich wissen müsse." An den Abenden flüstern sich die Mädchen ihre Träume zu. Sie denken sich Geschichten aus, in denen sie verheiratet sind und jede in ihrem Haus am Meer in Kalifornien wohnt. Doch nach dem Umzug lebt die arme Familie in einer engen Wohnung in einem Mietshaus. Lynn scheint wenig Freunde in der Schule zu haben, denn der Umgang mit ihrer kleinen Schwester in jeder freien Minute scheint für sie völlig normal zu sein. Als Katie dann in die Schule kommt, hält Lynn ihren üblichen Vortrag. Die beiden Mädchen zelebrieren dazu ihren Freundschaftsgesang, indem Lynn singt: ";Gedankenverschmelzung, Gedankenverschmelzung, Gedankenverschmelzung." Lynn bereitet Katie darauf vor, dass die Mitschüler, weiße Menschen, zu ihr nicht alle freundlich sein werden, denn im Ort leben nur wenige Japaner. Für Lynn ist das Gefühl diskrimininiert zu werden nicht neu. Für Katie steht die geniale Lynn in der Sonne und sie mit ihrem Dickkopf eher im Schatten. Bei aller Bewunderung für die Schwester bleibt da immer ein Wermutstropfen, denn Katie hat wenig Spaß am Unterricht und ist auch nicht so talentiert wie ihre Schwester. Als Lynn sich dann mit Amber anfreundet, fühlt sich Katie vernachlässigt und von Gesprächen ausgeschlossen, die pubertierende Mädchen führen. Frau Takeshima ist wieder schwanger und bekommt einen Sohn. Samson Ichiro ist ein ruhiges Baby. Die Mädchen werden in die Versorgung des Bruders einbezogen, denn die Eltern arbeiten hart. In der Fabrik lässt man sie auch die demütigende Hierarchie spüren. Die Japaner müssen zuerst in den sogenannten Schmutzbereichen der Fabrik die Arbeit aufnehmen, ehe sie in anderen Abteilungen tätig werden dürfen.
";Die Schmutzarbeiter waren die Untersten der Unteren." Um auf ihr Soll zu kommen, trägt die Mutter Einlagen, um ja nicht durch eine Toilettenpause Zeit zu verlieren. Den gewerkschaftlichen Aktivitäten stehen die japanischen Arbeiter skeptisch gegenüber.

Eines Tages verändert sich das Leben der Familie, denn Lynn wird krank. Es beginnt mit meinem Schwächeanfall, der Arzt wird im Laufe der Zeit eine Blutkrankheit und später Krebs diagnostizieren. Die Sorgen der Eltern nehmen zu, denn mit der Krankheit der älteren Tochter häufen sich die Arztrechnungen. Um Lynn ihren Traum zu erfüllen, nehmen die Takeshimas entgegen all ihren Vorsätzen einen Kredit auf und kaufen ein Haus. Aber das bedeutet auch, dass sie sieben Tage die Woche arbeiten müssen. Die Kinder erziehen sich untereinander, werden schnell selbstständig und tragen zu viel Verantwortung. Lynns Zustand verschlechtert sich zusehends. Katie verbringt jede Stunde an Lynns Bett. Als sich Lynn Nagellack wünscht, aber kein Geld für zusätzliche Ausgaben da ist, stiehlt die Schwester ihn für die Kranke. Katie wird erkannt, sie muss sich entschuldigen und die Familie schämt sich für sie. Freundin Amber lässt sich kaum noch bei Lynn sehen und die Schwestern kommen sich wieder sehr nah. Als Lynn aus dem Krankenhaus entlassen wird, fühlt sie sich besser und unternimmt mit Katie und Sammy, der inzwischen fünf Jahre alt ist, einen Ausflug in den Park, der an Mr Lyndons Haus grenzt. Die Geflügelfabriken sind sein Eigentum. Sammy spielt allein auf dem Besitz des Fabrikanten und tappt mit seinem Fuß in eine Falle, die im Park aufgestellt wurde. Die Mädchen mühen sich, um den Bruder schnell ins Krankenhaus zu bringen. Sie erhalten Hilfe von Hank Garvin, einem fremden Mann, der ebenfalls als Kind in diese Falle geraten war.
Lynn hat einen Rückfall. Die japanischen Familien helfen einander und trotzdem sind die Takeshimas mit der Pflege völlig überfordert, denn Lynn muss regelmäßig Medikamente nehmen und fühlt sich sehr schwach. Die Erwachsenen schweigen über den Ernst der Lage. Die übermüdete Katie hat wenig Geduld mit ihrer kranken Schwester, ist unfreundlich zu ihr und bereut ihr Verhalten zutiefst.

Als Lynn stirbt, ist sie allein. Lynn wird nie das wahre Leben kennenlernen, keinen Mann, keine Kinder haben und nie ihre Träume erfüllen. Katie quält sich mit Vorwürfen, die nur ihr Onkel zerstreuen kann. Die Familie ist am Rand ihrer Kräfte. Mr Takeshima, der immer so stolz auf seine Kinder ist, lässt sich gehen und zerschlägt in einem Wutanfall die Windschutzscheibe des roten Cadillac von Mr Lyndon. Nach Lynns Beerdigung entschuldigt sich der Vater beim Fabrikanten und verliert seine Arbeit. Doch die Eltern geben nicht auf, denn Fabriken gibt es genug in der Umgebung. Durch die Bekanntschaft mit Hank Garvin, dessen Frau die gewerkschaftlichen Belange in der Fabrik organisiert, ändern die Eltern auch ihre Einstellung gegenüber den Arbeitgebern und ihren weißen Mitbürgern.
Katie erbt Lynns Tagebuch, aus dem sie Kraft gewinnt und oft zitiert.

Endlich ein gutes Kinderbuch über ein realistisches Thema! Auch wenn die Geschichte tragisch endet, ist Cynthia Kadohatas ";Kira-Kira" ein Buch über das Leben, denn niemand anderes als Lynn konnte auf so verschiedene und einfache Arten zeigen ";wie erstaunlich die Welt ist." Unter ihrer Regie konnte alles zum Funkeln gebracht werden, sogar Kleenextücher. Das schreibt Katie in ihrem Aufsatz über ihre geliebte Schwester.

Cynthia Kadohatas Erzählperspektive ist klug gewählt, denn Katies unsentimentaler, wie forschender Blick spiegelt die Kindern so eigene ernsthafte Sicht. Der Leser ahnt durch Katies Alltagsbeschreibungen vieles bereits im Voraus. In der Familientradition verhaftet, die Eltern stehen kulturell mit einem Bein in den USA mit einem in Japan ( Sie schneiden den Mädchen mit dem Schulbeginn nach alter Tradition den Zopf ab oder borgen sich trotz größter Not prinzipiell kein Geld.), öffnet sich nur schwer eine Tür zur amerikanischen Welt. Die japanischen Familien regeln alles unter sich und versuchen nicht aufzufallen. Die Mädchen dagegen befinden sich auf der Suche nach Orientierungspunkten inmitten der Kompliziertheit des Erwachsenenlebens. So versuchen die Kinder einerseits ihrer nüchternen Alltäglichkeit zu entfliehen, andererseits sind sie aber neugierig auf das wirkliche Leben vor ihrer Haustür. Katie idealisiert ihre Schwester und auch Lynn neigt dazu, der Schwester nur Gutes zuzutrauen. Es ist die Zärtlichkeit in der Familie, die durch die Arbeitswelt und die finanziellen Engpässe leidet. Mehr und mehr entfremden sich die Familienmitglieder voneinander und das hat seine Gründe im harten Alltag.

So muss Frau Takeshima ihre Kinder stundenlang auf dem Parkplatz in drückender Hitze warten lassen, weil sie keine Betreuung organisieren kann. Kinder werden von vornherein kriminalisiert, denn sie dürfen ihre Eltern nicht zum Arbeitsplatz begleiten, da die Fabrikmanager Angst davor haben, dass Geflügel geklaut und Insekten mitgebracht werden. Katie schildert fast nebenbei die gnadenlose Ausbeutung der Arbeitnehmer in den 50er Jahren. Wie schämt sich Katie für ihre Mutter, die aus Zeitgründen ihre streng riechenden Einlagen nicht wechselt, als Lynn plötzlich ins Krankenhaus gebracht werden muss.

Lynns Schicksal öffnet der Schwester, die sich im Laufe des Buches verändert, rückblickend die Augen. Bei aller Tragik lässt die amerikanische Autorin ihren Figuren in vielen einprägsamen Szenen die Selbstachtung. Sie schreibt stilsicher, fesselnd und stellenweise sehr poetisch.

Cynthia Kadohatas Vorfahren väterlicherseits waren Japaner. Auch ihr Vater arbeitete in verschiedenen Geflügelzüchtereien, heißt es in den biographischen Angaben der amerikanischen Autorin, die heute in Los Angeles lebt.

Fazit:

Ein gelungenes Kinderbuchdebüt! Dieser Roman ist reich an Erzählmomenten, die durch ihre Einfachheit und Schönheit berühren. Es ist die Geradlinigkeit des kindlichen Denkens, die dieser Geschichte die Wärme gibt, aber auch den realistischen Erzählton, der von der ersten bis zur letzten Seite den Leser vereinnahmt.

Karin Hahn


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