Als Oma seltsam wurde

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonOkt 2008

Idee

Oma und Enkel geraten in eine Ausnahmesituation, die Oma ist krank, nur kann man ihr nichts ansehen, heikel wird es als es zum Eklat kommt, der Enkel aber nicht von Omas Seite weicht

Bilder

Eva Eriksson zeichnet sparsam, deutet stellenweise nur an, achtet auf Kleinigkeiten und trifft die Atmosphäre des Erzählten sehr genau

Text

realistische Geschichte, in der Ich-Form geschrieben

[ab 5 Jahren]

Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Ein sechsjähriger Junge wird Zeuge eines ungewöhnlichen Ereignisses - seine Oma benimmt sich plötzlich wie eine fremde Person. Ohne Vorwarnung reagiert die alte Frau auf ihre Umgebung aggressiv und unberechenbar. Das Kind wird zum stillen Beobachter, der zusehen muss, wie seine verwirrte Oma immer mehr den Boden unter den Füßen verliert und ihm Verantwortung überträgt, die ihn völlig überfordert.

Oma Nilsson wohnt allein in einem kleinen Häuschen, manchmal betreut sie ihren Enkel tagsüber. Im gepflegten Garten scharren die Hühner und schauen ängstlich zu dem Jungen im Robin Hood-Kostüm mit Flitzebogen und grünem Hütchen. Er freut sich wie an jedem Donnerstag auf den Bäckerwagen und seinen Keks. Von nichts anderem hat die Oma immer am Donnerstag gesprochen, von dem Brot, dass sie kaufen will und dem obligatorischen Keks.

Doch Oma wirkt so abwesend, so müde. Sie erkennt ihren Enkel nicht mehr, will wissen, wo seine Eltern sind. Warum liest die Oma immer und immer wieder nur den Anfang einer Geschichte und kann sich nicht erinnern, wo sie im Text zuletzt stehen geblieben war. Oma ist sauer über den hupenden Bäckerwagen. Sie schimpft herum und ärgert sich über das teure Brot, das sie auf keinen Fall kaufen wird. Auch der Kekskauf fällt aus. Oma läuft ins Haus und benimmt sich wie jemand, der verfolgt wird.

Mit ihrem Enkel, den sie für ihren Sohn hält, geht sie zur Bank. Dort verlangt sie am Schalter, dass der Angestellte all ihr Geld auf einen Haufen legen soll. Als der Oma gesagt wird, dass ihr Geld doch im Tresor sicher liegen würde zusammen mit all dem anderen Geld, wird Oma wütend. Sie leert ihr Konto. Die Leute in der Schlange wundern sich über Frau Nilsson. Auch der Bankbeamte, der beschwichtigend auf die alte Frau einredet, macht sich Sorgen. Auf dem Heimweg schützt der kleine Enkel mit dem Flitzebogen das Hab und Gut der Oma vor Räubern, denn sie läuft mit einer prall gefüllten Einkaufstasche voller Geldscheine durch die Straßen. Zuhause beginnt die Oma ihre Scheine in der ganzen Wohnung zu verstecken. Allerdings hat sie die Befürchtung, dass sie alle Stellen, in die sie ihr Geld gestopft hat, vergessen wird. Ihr Enkel soll sich alle Verstecke merken. Im Grunde spricht sie mit ihrem Sohn John, nur ihm kann sie vertrauen. Der kleine Robin Hood ist ein bisschen befremdet, dass die Oma ihn nicht mehr erkennt. Er muss sich nun alle Geldverstecke merken, eine ungeheure Belastung für ein kleines Kind. Die Oma ist völlig erschöpft, mit allem Drum und Dran legt sie sich ins Bett.

Der Enkelsohn lebt nun in der Angst, dass jemand kommen könnte und das Geld finden. Er sammelt alles wieder ein, sucht einen passenden Ort und findet keinen. Zwei Männer nähern sich dem Haus. Der Junge schießt schon mal seinen Pfeil ab. Es sind der Bankangestellte, der gleich einen Arzt mitgebracht hat. Er diagnostiziert einen Infekt bei der Oma und kann ihr mit Penizillin helfen. Die alte Frau benimmt sich wieder wie immer und der Bankangestellte bietet ihr ein Schließfach an, damit sie ihr Geld jederzeit besuchen kann.

Der schwedische Autor Ulf Nilsson greift bei dieser wieder mit leichter Hand geschriebenen Geschichte auf persönliche Erinnerungen zurück. Als Kind beobachtete er das seltsame Verhalten seiner verwirrten Oma, später als Erwachsener erkrankte auch seine Mutter. Wie seltsam Gedächtnisausfälle, Verfolgungsängste, Panikattacken und depressives Verhalten auf Kinder wirken können, hat Ulf Nilsson selbst erlebt. Niemand erklärte ihm damals das seltsame und unberechenbare Verhalten seiner Oma. Vor Beginn des Bilderbuches erzählt Ulf Nilsson mit wenigen Worten von seinen Erfahrungen und weist darauf hin, dass man mit Kindern über diese Krankheit sprechen sollte, um ihnen die Unsicherheit, das unwohle Gefühl und auch die Angst vor der Persönlichkeitsveränderung des so vertrauten Menschen zu nehmen.

Ulf Nilsson erzählt aus der Perspektive des Jungen und schlägt dadurch eine Brücke zum kindlichen Betrachter des Buches. Wie ganz nebenbei erwähnt er die Lebenssituation der Oma, das einsame Leben, wo der Bäckerbesuch am Donnerstag das große Ereignis darstellt. Wenn man den kleinen Jungen beobachtet, dann verhält er sich tapfer und mutig, um die Oma, deren Verwirrung der Sinne er hilflos registriert, zu beschützen. Er ahnt, dass sie ihm keine Antworten geben kann. So folgt er ihr und stellt keine Fragen mehr.

Wie überfordert das Kind ist, zeigt sich als die Oma ihm die Verantwortung für das viele Geld überträgt und als Erwachsene die Gefahren nicht sieht. Das Kind wird plötzlich in diese Rolle gedrängt und soll alles im Voraus bedenken. Jedermann könnte das Geld in der Speisekammer, im Nachttopf, im Bett, im Nähkästchen, im Brennholz finden. Im Bild sieht man den kleinen, verzweifelten Helden im Robin Hood - Outfit mit hängendem Kopf und vollgestopften Taschen mit Geldscheinen. Er hat keine Ahnung, wie er mit dieser Situation fertig werden soll. Seine Solidarität mit der seltsamen Oma, die nicht mehr weiß, wer er wirklich ist, berührt zutiefst. Ulf Nilsson umschifft keine heiklen Themen, sondern gewinnt ihnen auch eine gewisse Situationskomik ab.

Eva Eriksson findet klare Bilder für Ulf Nilssons realistische Geschichte. Das Gesicht der Oma verändert sich von Bild zu Bild, mal müde, mal herrisch, mal abgespannt, mal hinterlistig und dann am Ende sehr fröhlich. Immer wenn sie außerhalb des Hauses ihre Hausschuhe trägt, weiß man, irgendetwas stimmt nicht. Bereits auf dem Bilderbuchcover zeichnet sich die Geschichte ab. Die Oma läuft beschützt von ihrem Enkel ins Dunkle. Das gemeinsame Lachen von Enkel und Oma am Ende der Geschichte kündigt wieder eine gute Zeit für die beiden an. Bleibt die Frage, wie lang diese andauern wird.

Ulf Nilsson, Jahrgang 1948, siedelt seine Geschichte in der Vergangenheit an, als er selbst ein Kind war. Details, wie das altmodische Auto oder der Nachttopf, weisen darauf hin. Er greift den Lebensabschnitt auf als es noch Hoffnungen für die Oma gab und alles gut werden könnte. Auch wenn der Blick rückwärts gewandt ist, könnte die Handlung genauso gut in der Gegenwart spielen. Derzeitig gibt es in Deutschland ungefähr 1,2 Millionen Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind. Darunter befinden sich 650.000 Menschen, die an einer Alzheimer-Demenz leiden.

Es ist an der Zeit, dem Thema - auch mit Ulf Nilssons Bilderbuch - in Gesprächen mit Kindern nicht mehr auszuweichen. Ulf Nilsson hat aber kein Buch zur Krankheit geschrieben. Sein Anliegen geht weit darüber hinaus. Kinder muss man ernst nehmen und mit ihnen reden.

Fazit:

Ulf Nilsson ist ein Meister der kleinen Erzählform und scheut sich nicht vor heiklen Themen. Seine Figuren wirken lebensecht und berühren auf ihre ganz eigene Art. Kongenial passen die unaufgeregten, einfühlsamen Illustrationen von Eva Erikssons zur nachdenklich stimmenden Geschichte.

Karin Hahn

Als Oma seltsam wurde

Ulf Nilsson, Moritz

Als Oma seltsam wurde

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