Der Tag, als Johnny Kellock starb

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Kinderbuch Couch
87%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonOkt 2008

Idee

Die Gefühle der Unruhe und des Aufbruchs vermittelt die Protagonisitin so greifbar, dass die Geschichte unversehens packt. Mit einer gesunden Portion Humor und Wortwitz führt uns die kluge Rosalie durch ihr Leben im Sommer 1959. Überraschender Plot.

Text

Sprachlich dicht und anspruchsvoll, z.T. sprunghaft wie Rosalies Gedanken, ist das Erzähltempo hoch und verlangt gerade auf den ersten Seiten viel Aufmerksamkeit vom Leser um Geschehnisse und Akteure richtig einordnen zu können.

[ab 11 Jahren]

Die zwöfjährige Rosalie ist ein sogenanntes Nesthäkchen und davon überzeugt, dass sie die älteste Mutter der Welt hat. Ihre etwas eigenwillige Großfamilie hält zusammen - egal was kommen mag. Doch über manche Dinge sprechen sie mit Rosalie nicht, wie zum Beispiel über das geheimnisvolle Verschwinden ihres Cousins Johnny Kellock.

Rosalie macht ihre allmorgendlichen Zeichenmuskel-Übungen und sitzt versonnen auf der Treppe ihres großen, alten Hauses, in dem es ziemlich leer geworden ist, seit ihre älteren Geschwister ausgezogen und eine eigene Familie gegründet haben. Es ist ein sehr heißer Sommer, doch Rosalies Mutter besteht darauf, dass das Mädchen sich im Freiehn aufhält. Der Mutter ist es egal, ob Rosalie weiß, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll - und Rosalie weiß wirklich rein gar nichts mit ihrer Zeit anzufangen. Sie ist gerade beim Schritte zählen, als sie von dem Nachbarsjungen angesprochen wird, den alle bloss den ";Totengräber" nennen. David hat vor einiger Zeit seine Mutter verloren und lebt nun mit seinen anderen Brüdern und seinem Vater, die alle in der Werft arbeiten, gegenüber den Normans. Norman, so wird auch Rosalies Vater genannt, weil es auf der Farm auf der er als sehr junger Mann bereits arbeiten musste, üblich war. Rosalie kennt den Vornamen ihres Vaters eigentlich gar nicht und gerät in eine peinliche Situation, als David Fynn, der ";Totengräber", ihr einen Brief gibt, der ausversehen bei den Fynns gelandet ist. Die Adresse lautet auf Mr Und Mrs Frederick Norman - doch der Bruder, der ebenfalls Fred heisst wohnt woanders. Erst die Nachbarin Mrs Hewitt bringt Rosalie in eine noch peinlichere Situation: ";Rosa-liieee! ... Der ist für Deinen Vater! ... Wie hattest du denn gedacht, dass dein Vater heißt?"

Rosalie und die Nachbarin wollen den Brief der Tante gerade zu Rosalies Mutter Lily bringen, da hören sie ein lautes Poltern. Lily ist die Treppe hinunterestürzt und hat sich den Fuss gebrochen. Rosalie fühlt sich schuldig, denn sie weiss, dass es ihre Buntstifte waren, die ihre Mutter zu Fall gebracht haben. Doch ihre Mutter macht ihr keinerlei Vorwürfe.

Um sich abzulenken, zeichnet Rosalie voller Abscheu ein Comic über den Totengräber; ein Dokument, das ihrer beider Freundschaft später noch sehr ins Wanken bringen wird. Zu Rosalies Erleichterung erfährt sie von ihrem Vater, dass es der Mutter gut geht, sie einen Gips bekommen hätte und nun bald nach Hause kommt. Auch Rosalies Vater macht seiner Tochter keinen Vorwurf. Da Lily, Rosalies Mutter, nun mit ihrem Gipsfuss nicht mehr im Haushalt und im Garten arbeiten kann, wird David, der ";Totengräber" von Gegenüber für den Garten eingestellt. Für Rosalie ist dies ein unhaltbarer Zustand: Was werden ihrer Klassenkameradinnen sagen, die zum Glück gerade alle in den Ferien sind? Zu Rosalies weiterem Verdruss macht David auch noch Andeutungen über das Verschwinden ihres Lieblingscousins Johnny Kellock. Das provoziert Rosalie derart, dass sie David sogar gegenüber ihren Eltern einen Lügner nennt. Aber auch von ihren Eltern erfährt sie nicht, was es mit Johnny´s Verschwinden wirklich auf sich hat. Jedenfalls kann niemand von Lily´s Schwestern im Haushalt helfen - auch die Mutter von Johnny nicht - und so bleibt die Arbeit an Rosalie und ihrer unverheirateten, älteren Schwester Martha hängen.

Rosalie und David kommen trotz allem erneut ins Gespräch. Obwohl sie den Jungen nicht leiden kann, ist etwas an ihm, das Rosalie neugierig macht. Rosalie kann David, dessen Brüder und Vater in der Werft arbeiten, schließlich überreden, dort Nachforschungen zu dem Verbleib des Cousins anzustellen. Mit Ausreden machen sich die beiden an ihre Detektivarbeit und es scheint so, als wären sie am Ende sogar erfolgreich. Doch Rosalie interpretiert so manches ganz anders und zieht am Ende vollkommen falsche Schlüsse; ein Glück, denn auf diese Weise kann sie, obwohl sie glaubt einen Verrat zu begehen, ihren Cousin schützen.

Schon der Titel ";Der Tag als Johnny Kellock starb" macht neugierig und katapultiert, dem Titel nach, musikalisch in die Zeit der 50/60er Jahre. Wir können uns die Stimmung in dem grossen Haus der Normans gut vorstellen, den heissen Sommer dessen scheinbare Endlosigkeit nur von den alltäglichen Ritualen unterbrochen wird, von denen Rosalies Mutter trotz ihres Gipsfusses es nicht lassen will. Die Kanadierin Hadley Dyer schildert in ihrem Kinderbuch-Debüt den ganz normalen Teenager-Alltag - nur, dass dieser sich Ende der 50er Jahre abspielt. Die Gefühle der Unruhe und des Aufbruchs vermittelt sie durch ihre Protagonisitin jedoch so zeitlos und greifbar. Mit einer gesunden Portion Humor und Wortwitz führt uns die kluge Rosalie durch ihr Leben im Sommer 1959. Wir erleben Rosalies Erwachen aus ihrer Kindheit und damit ihren Drang, das überdeutlich gewordene Rumoren im Hintergrund aufzuspüren. In ihrem Umherschlendern durch diese, für sie undefinierbare Zeit, scheint ein Teil ihres Verstandes immer wacher zu werden. Rosalie beginnt, sich den bis dahin unverrückbaren, nie hinterfragten Tatsachen innerhalb der Familie von einer ganz neuen Seite zu nähern. Auf diesem Weg trifft sie auf den sensiblen, wie klugen David, der ihr in seiner Geradlinigkeit Halt gibt. Langsam und sehr behäbig wächst ihre Freundschaft und am Ende sogar so etwas wie die erste Verliebtheit.

Hadley Dyer schafft von der ersten Seite an eine dichte Atmosphäre und wir entdecken mit Rosalie viele kleine Versatzstücke, Mosaiksteinchen, die vielleicht an der einen oder anderen Stelle passen könnten, aber zunächst keinen wirklichen Sinn machen. Sprachlich anspruchsvoll und zum Teil sprunghaft, wie Rosalies Gedanken, ist das hohe Erzähltempo von Hadley Dyer und verlangt gerade auf den ersten Seiten viel Aufmerksamkeit vom Leser, um die Geschehnisse und Akteure richtig einordnen zu können.

Erst am Schluss wird deutlich, wie sehr Rosalie von der schon länger schwelenden Familientragödie um ihren Cousin Johnny ferngehalten wurde. Rosalie, die immer noch von allen in ihrer Famlilie als kleines Kind angesehen wird, kennt ihren charmanten Cousin nur als wahren Sonnenschein, den jeder in der sonst eher ruppigen Familie liebt - sogar Lily, Rosalies Mutter - von Johnny´s schwierigen Lebensumständen ahnt ";Bohne", wie sie zärtlich von ihrem Vater genannt wird, nichts.

Die auf den ersten Blick wortkarg und ruppig wirkende Famile entpuppt sich im Verlauf der Geschichte als liebevolle und sensible Gemeinschaft, in der man eben miteinander durch Dick und Dünn geht. Doch als alle aufrichtig zu den Tatsachen stehen und ihnen gemeinsam die Stirn bieten, kehrt das Glück auf vielfache Weise in das Haus der Normans zurück.

Fazit:

Hadley Dyer erzählt in ihrem gefühlvollen Kinderbuch-Debüt eine kluge und packende Familiengeschichte, die ganz durch die Perspektive und den Humor der 12-jährigen Protagonisitin geprägt ist. Sie erzählt von Liebe, Vertrauen, Freundschaft und dem Weg des Erwachsenwerdens. Dabei schafft Hadley Dyer am Ende einen ganz und gar unerwarteten Plot, der die vorherigen Geschehnisse in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Der Tag, als Johnny Kellock starb

Hadley Dyer, Carlsen

Der Tag, als Johnny Kellock starb

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