Jules Traumzauberbaum

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonFeb 2009

Idee

Jule fühlt sich für eine Familie verantwortlich, in der die Erwachsenen viel reden, aber wenig bewegen, sie braucht Hilfe und diese findet sie durch ein Wandgemälde, das mehr Kraft besitzt als man ahnt

Text

kurzweilig, temporeich und humorvoll geschrieben, wie ein Hilfeschrei sind viele Stellen typographisch hervorgehoben

Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Jule ist die Sorgensammlerin in ihrer Familie. Immer wenn Unstimmigkeiten zwischen den Eltern oder mit ihrer jüngeren Schwester auftreten, dann juckt ihre Haut. Zur Beruhigung sortiert sie ihre Radiergummisammlung oder schreibt eine Liste, die sie Punkt für Punkt abhaken kann. Wie ein kleines Wunder taucht auf einmal hinter der Tapete der Traumzauberbaum auf. Mit ihm soll alles ganz anders werden, hofft Jule.

Die zehnjährige Julia Jennifer Joos, JJJ ist ihr Zeichen, lebt zusammen mit ihren Eltern, ihrer Großmutter Nana und ihrer jüngeren Schwester Ophelia, genannt Affi. Von außen betrachtet, scheint alles in Ordnung zu sein. Doch weit gefehlt: Jule hat viele Sorgen und die kreisen um ihre Familie. Die lästige, äußerst nervige Affi klaut einfach ihre Sachen, gibt nichts zurück und sorgt für den ständigen Geschwisterstreit. Jules Mutter, von Beruf Psychologin, bemüht sich, die Kinder über Gespräche und Psycho-Spiele zu versöhnen. Nicht umsonst hat die Mutter an die Tür der Tochter den Spruch gepinnt: Ich bin eine fähige Person und kann jede Krise meistern. Jule und Affi nerven die Übungen der Mutter, die nur zur nächsten Auseinandersetzung führen. Am liebsten würde Jule Affi eine „reinsemmeln", was natürlich nicht Ziel der mütterlichen Schlichtungsversuche ist. Jules Vater arbeitet in einem Museum und experimentiert zu Hause in einem Zimmer, das, wenn Besuch da ist, unbedingt abgeschlossen werden muss. Der Raum ist, laut seiner Frau, mit unsinnigem Krempel vollgestellt und alles ist eingestaubt. Affi organisiert für die Kinder aus der Nachbarschaft erfolgreich regelmäßige Führungen durch dieses Zimmer, damit sie sehen, was ihre Mütter auf keinen Fall dulden würden.

Großmutter Nana war vor ihrem Ruhestand leitende Wissenschaftlerin und verbringt nun leicht zerknirscht ihre Zeit in Handarbeitszirkeln. Außerdem hat sie Angst vor dem Alt werden und weigert sich ihren Unfallalarm zu tragen. Jule hasst den Streit der Eltern, wenn es um Papas Unordnung und wissenschaftlichen Ehrgeiz geht. Sie kann ihre kleine Schwester nicht ausstehen, die ihr ständig auf der Pelle sitzt und sie kann sich nicht gegen David Dusch, einen frechen Jungen aus ihrer Klasse wehren. Wenn Jule all ihre Sorgen Revue passieren lässt, beginnen ihre Arme zu jucken, sie hat eine V-förmige Runzel zwischen den Augenbrauen und fühlt sich elend.

Doch dann entschließen sich die Eltern, Jule ein eigenes Zimmer zu geben. Das heißt, Jules Vater muss endlich seine Rumpelbude räumen. Als Jule ihr neues Reich anschaut, entdeckt sie unter der Tapete ein Gemälde, einen Traumzauberbaum, auf dem Tiere sitzen. Nana erläutert Jule die Funktion dieses Baumes. Jedes Tier ist für eine Sorge zuständig. Wenn Jule ihre Sorgen abends an den Baum hängt, dann kümmern sich Hund, Schwein, Ente oder Ziege um all ihren Kummer und sie kann beruhigt einschlafen. Einst war dies Nanas Baum, bis ihr Vater entschied, dass sie nun kein Kind mehr sei. Magisch ist dieser Baum nicht, aber er wird im Laufe der Zeit Jule von vielen Sorgen befreien. Und dann gibt es noch ein schwarzes Loch im Baum für unaussprechliche Sorgen.

In der Schule holt Jule jeden Tag der Ärger mit David Dusch ein. Immer wenn David sie aufzieht, schaut ihre Freundin Betty nur zu. Die Neue in der Klasse ist da schon mutiger. Emma verscheucht den miesen Kerl aus Jules Nähe. Jule könnte sich freuen, wäre da nicht Bettys Gleichgültigkeit und Unfreundlichkeit Emma gegenüber. Emma besucht Jule dann in ihrem neuen Zimmer. Ziemlich neugierig betrachtet das Mädchen alle Dinge in Jules Zimmer, besonders den Traumzauberbaum. Sie möchte einen tollen Radiergummi von Jule geschenkt bekommen und scheint irgendwie ein einnehmendes Wesen zu haben. Als Emma zu Besuch kommt, ärgert sich Jule über die Kisten, die sich im Flur stapeln. Noch immer konnte sich Jules Vater nicht entscheiden, was er nun endlich entsorgen sollte. An einem Tag platzt dann die gesamte Familienharmonie wie ein Seifenblase. Auslöser ist der Streit zwischen Affi und Jule. Affi ist fürs Tischdecken zuständig, hat aber keine Lust. Und weil die Mutter irrtümlicherweise Jule aufgefordert hat, ist Affi der Meinung, Jule könne die Hausarbeit auch erledigen. Nun kommt es zu einer Zerreißprobe, denn die vernünftige Jule will nun aus Prinzip nicht nachgeben. Immer hektischer bittet die Mutter die Kinder um Hilfe. Niemand rührt sich. Es kommt zum Eklat als Jules Mutter Spagetti und Soße für jeden auf den Tisch knallt. Der Streit eskaliert als Jules Vater sich einmischt. Er soll endlich seinen Krempel entsorgen, meint die Mutter. Nana kommt hinzu und die Familie überhäuft sie mit Vorwürfen, da sie ihren Unfallalarm nicht trägt, nachdem sie schwer gestürzt war. Um allem ein Ende zu machen, beschließt Jule, dass sie ganz allein an dem Streit schuld sei. Sie bietet dem Vater an, dass er sein Zimmer zurückhaben kann und dann ist endlich wieder Ruhe. Mit Bauchweh und hektischen Flecken liegt Jule in ihrem Zimmer und beginnt sich schon vom Traumzauberbaum zu verabschieden. Außerdem nagt der Streit ihrer beiden besten Freundinnen Emma und Betty an ihr. Jede will Jule auf ihre Seite ziehen, doch das Mädchen will sich nicht für eine beste Freundin entscheiden.
Am liebsten würde Jule für immer im schwarzen Loch ihres Traumzauberbaumes verschwinden.
Doch viele Sorgen, die Jule das Leben schwer machen, werden sich in Luft auflösen, denn Eltern lassen sich bei auftretenden Problemen nicht gleich scheiden und haben zum Glück auch die Größe, eigene Fehler einzusehen und sich bei ihren Kindern zu entschuldigen.

Niemand kann aus seiner Haut und seine Familie aussuchen kann sich auch keiner, leider. Jule muss ihre Konflikte mit den Eltern, Nana und Affi lösen und wie sie das anstellt, liest sich fabelhaft. Mit einer heftigen ziemlich komischen Auseinandersetzung zwischen Jule und Affi startet die australische Autorin Marianne Musgrove ihren Debütroman. Ohne langes Federlesen befindet sich der Leser mitten in der turbulenten, leichthändig geschriebenen Familiengeschichte. Marianne Musgrove erzählt in ihrem Kinderbuch nicht nur lebensnah, sondern arbeitet mit vielen sprachlichen Bildern. Wie ganz nebenbei werden sie eingestreut: „Sie stellte sich die Lasten wie einen wackligen Turm aus Teetassen vor. Sie stellte sich vor, wie sie diesen Turm trug." Nie sind die Bilder abwegig, denn sie bleiben innerhalb der kindlichen Vorstellungskraft. Eine starke Persönlichkeit ist auch Jules nervende, lästige, jüngere Schwester, die sich im Schrank versteckt, um den Besuch zu belauschen oder die an allen Gummibärchen leckt, um sie dann ganz unschuldig wieder in die Tüte zu stecken. Marianne Musgrove hat eine jüngere Schwester und so weiß sie auch genau, worüber sie schreibt. Viele ihrer Ideen stammen auch aus ihrer Kindheit, wie sie einem Interview verrät.

Marianne Musgroves Hauptfigur Jule ist ein sensibles Kind, das es allen recht machen möchte. Ihre vernünftige Art wird ihr jedoch zum Verhängnis, wenn es um Auseinandersetzungen geht, denen sie nicht gewachsen ist. So entwickelt sie für sich eine eigene Therapie, wenn in Stresssituationen wieder Arme und Beine jucken. Sie sammelt wichtige Dinge: benutzte Busfahrkarten, Anstecker, mit denen die hervorragende Teilnahme am Unterricht belohnt wurde oder getrocknete Cicada-Muscheln. Im frischen Ton und reich an Dialogen erzählt die Autorin vom ganz normalem Alltagwahnsinn einer Familie, deren Mitglieder offenbar alle ausgesprochen abgefahrenen Hobbys nachgehen. Doch Jule kann sich in dieser Familie nicht entspannen. Affi hat da ein dickeres Fell und einen unverwechselbaren Humor.

Der Traumzauberbaum verleiht der realistischen Geschichte keine fantastische Ebene. Alle Vorstellungen spielen sich in Jules Kopf ab. Allein die Idee, man könne seine Sorgen (ähnlich den Sorgenpüppchen) für kurze Zeit an einem Baum hängen und lossein, hilft Jule bereits ein Stückchen weiter und gibt dem Leser viel Stoff zum Nachdenken.

Fazit:

Mit wunderbarer Leichtigkeit und viel Humor erzählt Marianne Musgrove von ihrer Hauptfigur Jule, deren familiäre Sorgen sie ohne Frage ernst nimmt. Doch Jule lädt sich eine Last auf, die sie gar nicht tragen kann. Der Traumzauberbaum wird ihr helfen zu erkennen, was für sie wichtig ist. Und das gelingt ohne magischen Zauber, nur durch die Kraft der Vorstellung.

Karin Hahn

 

Jules Traumzauberbaum

Marianne Musgrove, Beltz & Gelberg

Jules Traumzauberbaum

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