Angstlust und Gruselspaß -
gerade jetzt zu Halloween

Bald ist Halloween, aber nach wie vor verdrehen viele Erwachsene die Augen über diesen „neumodischen Kram“. Dabei ist Halloween ein ganz, ganz altes Fest. Zur Zeit der Kelten war der 1. November Neujahr und der Abend davor, ein bisschen das, was bei uns an Silvester stattfindet. Und weil es auch eine Art Erntedankfest zum endgültigen Ende des Sommers war, blieb das Fest auch bestehen, als immer mehr Kelten Christen wurden, und auch als im Mittelalter das Ende des Jahres mit einem neuen Kalender auf den 31. Dezember verlegt wurde.

„Trick oder Treat“ oder „Süßes, sonst gibt’s Saures“

Am 1. November feierte man jetzt Allerheiligen und darauf soll auch der Name Halloween zurückgehen, eine verschliffene Form von „all hallow souls“ oder „all hallow eve“. Irische Auswanderer brachten Halloween mit nach Amerika, wo es sich zu dem weiter entwickelte, was es heute ist und was sich immer mehr auch in Deutschland einbürgert. Kinder ziehen verkleidet von Haus zu Haus mit dem Spruch „Trick oder Treat“ oder „Süßes, sonst gibt’s Saures“: Bekommen sie nichts, wollen sie sich mit Streichen rächen. Auch das hat einen ernsten Hintergrund: viele Iren waren einer Hungersnot wegen aus ihrer Heimat nach Amerika ausgewandert, und an diesem einen Abend vor dem Winterbeginn waren die Kinder und Jugendlichen auch auf der Suche nach Essen, einerseits mit Spaß, aber eben auch mit Nachdruck, wenn jemand geizig war. Dass man einen Kürbis aushöhlt und beleuchtet, geht zurück auf die Legende vom Trunkenbold Jack, den nicht einmal der Teufel in die Hölle einlassen wollte; aus Mitleid gab er Jack wenigstens eine glühende Kohle mit auf den Weg, die steckte Jack in eine Zuckerrübe (in Irland und Europa gab es lange keine Kürbisse), damit sie nicht verlischt und ihm den Weg nach Hause zeigen kann. Auch solche Gemüselaternen sind also nicht ganz neu.

So oder so, die Kids sind ganz heiß drauf – auch wenn in diesem Corona-Jahr sicherlich keine großen Partys und von Haus-zu-Haus-Gehen drin sein werden. Um so besser, das Geschehen mit einem Buch auf die Couch zu verlagern. Und da gibt es so einiges für Kids und Teens, auf unseren Seiten auch, von lustig bis Leseanfänger, von leicht gruselig bis zum wahrhaften Horror.

Angst, die Spaß macht, weil man darauf vertraut, dass es gut ausgeht.

Als Eltern fragt man sich zuweil: wie viel Horror halten Kinder eigentlich aus? Ist das nicht zu viel? Zu viel Grusel, zu viel Gewalt, zu viel Spannung, zu viel Blut? Können die Kids so viel Angst überhaupt vertragen? Prinzipiell ja, lautet die Antwort von Medienpädagogen, denn all diese Geschichten machen nicht wirkliche Angst. Sondern Angstlust. Ein Gefühl, das man auch vom Achterbahnfahren kennt oder eben von spannenden Geschichten: Angst, die Spaß macht, weil man darauf vertraut, dass es gut ausgeht. Erst Adrenalin, wenn es spannend wird, dann Endorphine, wenn es gut ausgegangen ist, das schafft Situationen, in denen man sich unglaublich lebendig fühlt.

Bei ganz kleinen Kindern ist es das Hoppereiterspiel oder in die Luft geworfen zu werden: sie jauchzen und kreischen mit der Gewissheit, wieder aufgefangen zu werden. Mit Monstern können sie noch kaum Angstlust erleben, weil sie noch gar nicht wissen, was es ist. Auch bei Kleinkindern in der sogenannten magischen Phase sind Gruselgefühle noch nicht das richtige: sie wissen zwar, dass es Vampire und Zombies und Gespenster gibt, aber können noch nicht reflektieren, dass es sie in echt eben nicht gibt. Die Angst kann bei ihnen in nackte Panik umschlagen. Aber wenn dieser Entwicklungsschritt vorbei ist, dann machen die ganzen grausigen Gestalten eben nicht Angst, sondern Angstlust. Das ist etwa ab dem Vorschulalter der Fall.
Damit es auch sicher klappt mit der Angstlust, sind die Figuren oft gut erkennbar nett gemacht: zottelig und freundlich und viel Humor ist auch dabei, denn auch Lachen baut Spannung ab, bevor sie sich womöglich doch nicht mehr aushalten lässt. Meist geht es in den Geschichten gut aus, nicht für die Bösewichter, aber für das Gute in der Regel schon.  Filme, in denen es um echtes Grauen geht, um Krieg, Terror, Stalking, schlimme Krankheiten und die Guten, für die es im echten Leben leider allzu oft nicht gut ausgeht, sind deshalb viel schlechter auszuhalten.

Angst ernst nehmen.

Die Altersfreigaben sind nur ein grober Hinweis, was wann für welches Kind passend sein könnte. Bei Büchern geht es um das Leseniveau und bei Filmen schaut die FSK  nur nach entwicklungsgefährdenden und verbotenen Inhalten, also ob Drogen oder Sex vorkommen; ob etwas „gut“, „schlecht“ oder gar „pädagogisch wertvoll“ ist, darüber sagt das Label „ab 6“ rein gar nichts aus. Und ob es für das eigene Kind passt, sowieso nicht.

Manche Kinder nämlich haben einen Riesenspaß an Monstern und Co. und können gut damit umgehen. Manche trauen sich an Halloween gar nicht auf die Straße, weil sie schon Masken und Verkleidungen nicht aushalten. Und es müssen gar nicht immer Figuren aus dem Gruselkabinett sein, die Kindern Angst machen: Sprechende Plüschmaskottchen im Freizeitpark, Vögel, Schmetterlinge oder andere Tiere oder bestimmte Geräusche. Auch vor Clowns haben Kinder oft Angst, auch vor den lieben, und das nicht erst seit vor ein paar Jahren im Herbst und den Horror-Clowns.

Und: der Grat zwischen Angst und Lust ist schmal und kann jederzeit kippen. Helfen kann dann Körperkontakt, die Hand halten oder es in den Arm zu nehmen. Aber manchmal wollen die Kinder nur weg, raus aus der Situation, das Buch zuklappen oder raus aus dem Kino. Das sollte es dann auch dürfen, so lautet unisono der Rat von Medienpädagogen, Psychologie-Fachleuten und Erziehungsforschern. Sowieso sollten Eltern ihr Kind und dessen Angst ernst nehmen. Und nicht abtun mit Worten, wie „Du musst doch keine Angst haben“ oder es mit aufgesetztem Humor versuchen „Haha, du kleiner Schisser, das ist doch nur eine Geschichte“. Das macht die Angst nicht kleiner, im Gegenteil. Zusätzlich fühlt sich das Kind allein gelassen, die Angst wird nicht aufgefangen. Und so eher größer. Wenn die akute Angst vorbei ist, kann ein Gespräch helfen. Ein Gespräch, das ist wichtig. Und kein Vortrag darüber, dass es Vampire in echt halt nicht gibt. Besser ist es zu fragen: „Ob es Vampire in echt gibt, willst du wissen? Was meinst du denn, gibt es welche? Was genau macht dir denn Angst dabei?“ So kommt man der eigentlichen Sache auf die Spur und beim Überlegen und Drüberreden erlebt das Kind sich als aktiv und das ist weniger belastend als einer Sache nur ausgeliefert zu sein.

Begleitung statt Verbote, Interesse statt Sorge

Sind die Ängste sehr stark und nehmen im Alltag viel Raum ein, etwa weil das Kind überall und immer Monster vermutet und schlimme Albträume hat und kaum noch schläft, dann sollten Eltern zum Kinderarzt, Kinderpsychologen oder zur Erziehungsberatung gehen; oft sind dann solche Monsterängste ein Symptom für anderes, für tiefe Lebensängste, unverarbeitete Erlebnisse, eine Entwicklungsphase, echte Probleme in der Familie oder in der Schule oder im Kindergarten. Das kann dann auch nur dort behoben werden, an zu viel Monstergeschichten liegt es nicht.

Andere Kinder und Jugendliche können kaum genug bekommen von all dem Grauen. Und übrigens, das war auch schon früher nicht viel anders:  Monster und Dämonen und schön-schaurige Geschichten darüber gibt es mindestens seit der Antike, die griechische Mythologie ist voll damit. Und auch damals dürften sich halbwüchsige Kinder gegenseitig Nackenhaarsträubendes erzählt haben. Oder Geister- und Gespenstergeschichten am Lagerfeuer. Die große Auswahl an extra Horror- und Gruselgeschichten, die es ja auch schon als Bücher für Erstleser gibt, zum Beispiel Die Girls vom Gruselinternat oder Henry und Hobbs, Geisterjäger, das ist neu. Zum einen sicherlich, weil es sich gut verkauft. Warum die Nachfrage so hoch ist, wer weiß. Gut möglich, dass ein Mensch ein gewisses Maß an Angstlust braucht. Ist der Alltag so sicher wie bei uns mit Helmpflicht, Gurtpflicht und mit von Hexen gereinigten Märchenbüchern, dann holt man sich die Dosis eben woanders. Und auch möglich, dass die Dosis Monster höher sein kann, wenn das Kind gemütlich zu Hause auf dem Sofa sitzt und jederzeit das Buch zuklappen kann.

Wer sich als Eltern sorgt, dies raten Pädagogen, redet am besten einfach mit seinem Kind. Fragt nach, liest mal mit, sagt seine Meinung, aber ohne alle diese Vorlieben pauschal abzuwerten. Begleitung statt Verbote, Interesse statt Sorge. Dann fühlt es sich wahrgenommen – und traut sich auch zu den Eltern zu kommen, wenn es vielleicht heimlich doch die komplette Staffel Mumien-Filme gesehen hat und jetzt nicht schlafen kann vor Angst. Verbieten sollte man das bisschen Grusel ganz und gar nicht. Selbst wenn es möglich wäre, ein Kind komplett angstfrei aufwachsen zu lassen.  Generell gehört Angst zum Leben dazu und ist deshalb auch in einem gewissen Maß Teil der normalen kindlichen Entwicklung – und damit gut, Angstlust sowieso.  Kinder lernen so, was sie sich zutrauen, was sie aushalten, welchen Situationen sie sich ausliefern können und wie sie damit umgehen, wenn es zu beängstigend wird. Nach jeder überstanden Angst sind sie einen Schritt weiter und selbstbewusster. Und freuen sich aufs nächste Halloween und darauf, wenn sie endlich auch Gruselfilme ab 16 schauen dürfen.

"Angstlust und Gruselspaß" - Sigrid Tinz, Oktober 2020
Titel-Motiv: © istock.com/Choreograph

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